56 Der Strafprozeß. III. Buch.
Hie Berufungsfrage Nach allgemeinem Urteil ist die Frage, die den Aus-
großzügig gelöst. gangs- und Höhepunkt der Reformbewegung bil-
dete — die Berufungsfrage — von dem Reformentwurf
großzügig gelöst. Der Entwurf gewährt nicht bloß das Rechtsmittel der Berufung, das in
der geltenden Str PO. nur gegen die Urteile der untersten Strafgerichte — der amts-
gerichtlichen Schöffengerichte — gegeben ist, auch gegen die Urteile der landgericht-
lichen Strafkammern als der mittleren Strafgerichte, sondern schreibt auch dabei, wie
gegenwärtig bei der Berufung gegen die Schöffengerichte, in der Berufungeinstanz,
abgesehen von den Grenzen, die der Verhandlung und Entscheidung im einzelnen Falle
durch die Berufungsanträge gezogen werden, eine völlig neue Verhandlung unter
nochmaliger mündlicher Vernehmung der bereits in 1. Instanz vernommenen Zeugen
und Sachverständigen vor und sichert dadurch der Berufung ihre volle Bedeutung.
Eine bloße Nachprüfung des Urteils, das in 1. Instanz auf Grund der lebendigen münd-
lichen Verhandlung und der von dem Gerichte aus dieser gewonnenen Uberzeugung
ergangen ist, auf Grund des schriftlichen Aktenmaterials hätte geringen Wert, brächte
vielmehr die Gefahr eines der wirklichen Sachlage weniger gerecht werdenden Urteils
2. Instanz mit sich. Als eine Inkonsequenz erscheint es nur, daß der Gesetzgeber, wenn
er die Ermöglichung einer zweiten mündlichen Verhandlung im Wege der Berufung
für die Urteile der untersten und mittleren Strafgerichte als nötig erachtet, solche nicht
auch oder vielmehr erst recht für die höchsten über die schwersten Fälle erkennenden Straf-
gerichte — die Schwurgerichte — gibt. Allerdings ist das nicht möglich, solange bei den
Schwurgerichten die jetzige Trennung der Geschworenen von den Nichtern bestehen
bleibt. Auch wenn in der 2. Instanz völlig von neuem verhandelt wird, müssen doch
dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft für ihre Entschließung über die Einlegung
der Berufung, wie dem Berufungsgericht für seine Entscheidung die Entscheidungs-
gründe der 1. Instanz vorliegen und zu deren schriftlichen Feststellung sind die Geschwo-
renen ohne Mitwirkung von Richtern nicht imstande.
Bei der zweiten Hauptfrage der Reform — der
Laienfrage — beweist der Vorschlag des Entwurfs, die
bisher nur bei dem Antsgericht mitwirkenden Schöffen auch zu den Straf-
kammern zuzuziehen, daß die Bundesregierungen die Vorzüge, welche der Mit-
wirkung von Laien für die Rechtsprechung in Strafsachen zugeschrieben werden, in der
bisherigen Tätigkeit der Schöffen an den Amtsgerichten bestätigt gefunden haben und
voll anerkennen. Diese Vorzüge der Zuziehung von Laien bestehen darin, daß sie den
Strafgerichten volleres Verständnis für die Vorgänge des praktischen Lebens und engeren
Zusammenhang mit dem Rechtsbewußtsein des Volkes zuführt, die durch ihre alltägliche
Aburteilung gleichartiger Fälle leicht in Noutine verfallenden Richter zu einer erschöpfen-
den in die Besonderheiten des einzelnen Falles eindringenden Verhandlung nötigt,
der Strafabmessung ein größeres Eingehen auf die menschlichen Seiten der Tat, wie auf
die Individualität des Täters sichert, und, was vor allem von höchstem Wert ist, das
Vertrauen des Volkes zur Rechtsprechung stärkt. Sind aber diese Vorzüge anerkannter-
Oie Laienfrage.
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