Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
IV. Buch. Das Heerwesen. 13 
  
das Geschütz 1896 in diesem Sinne umzuändern. Das neue Geschütz, das allen modernen 
Anforderungen entsprach, wurde bis 1907 eingeführt. Die Feuergeschwindigkeit beträgt 
20 Schuß in der Minute. Neben der Feldkanone führt die Armee die Feldhaubitze, 
ein Schnellfeuergeschütz von 10,5 cm Kaliber, das bei bedeutender Ourchschlagskraft 
und steilem Einfallwinkel für Wirkung gegen feldmäßige Eindeckungen und Ziele hinter 
Deckungen konstruiert ist. Außerdem aber liefert es einen brauchbaren und wegen des 
größeren Kalibers sehr wirksamen Flachbahnschuß und ist daher vielseitig verwendbar. 
1907 wurde diese Haubitze für Rohrrücklauf umgeändert und mit Schutzschilden ver- 
sehen. Auch gelangte bei ihr das „Feldhaubitzgeschoß 05“ zur Einführung, das 
infolge eigentümlicher Zünderkonstruktion als Schrapnell und Granate verwendet werden 
kann. Zede Oiodision soll neuerdings eine Haubitzabteilung erhalten. Eine weitere 
Beschleunigung des Feuers wurde durch die Einheitspatrone erreicht, bei der Geschoß 
und Kartusche verbunden sind. Auch wurden 1909 Beobachtungswagen und Fernsprech- 
gerät bei der Artillerie eingeführt. 
Die schwerere Artillerie des Feldheeres hatte schon 1899 zum Teil neues 
Material erhalten. Sie setzte sich aus Haubitz- und Mörserbataillonen zusammen, jene zu 
24 Geschützen in 4, diese zu 8 Geschützen in 2 Batterien. Als Flachbahngeschütz führte 
sie eine 12 cm Kanone. Der Mörser hatte ein Kaliber von 21 cm, die Haubitze von 
15 cm. 1907 erhielt auch sie ganz moderne Nohrrücklauf-Geschütze, die schwere Feldhaubitze 
02 (Kaliber 14,97 cm) und die 10 cm Kanone 04. Durch Einführung von Nadgürteln 
kamen die Bettungen in Fortfall. 
Oie beiden genannten Geschütze wurden auch in der Belagerungsartillerie 
verwendet, die 1909 statt der veralteten 15 cmm Kanone ein 13 cm Geschütz erbielt. Sie 
führt außerdem 15 cm Lüngkanonen, 21 cm und 28 cm Märser und 5 cm Schnell- 
feuerkanonen. Bei der Festungsartillerie findet sich das mannigfachste Material, da hier 
alle noch brauchbaren Geschütze zur Verwendung kommen, die anderwärts, auch in der 
Marine, ausgeschieden wurden. Besonders schwere Geschütze — Kanonen und Hau- 
bitzen — werden bei der Küsten9artillerie verwendet, da diese den Kampf mit den 
feindlichen Panzerschiffen aufnehmen, also teilweise wenigstens panzerbrechend wirken 
muß. Auch Ballonabwehrkanonen sind neuerdings eingeführt worden. So steht Deutsch- 
land, was das Artilleriematerial anbetrifft, wohl an der Spitze aller großen Militär- 
staaten. 
Die gewaltige Entwickelung der Artillerie hat auch auf den 
Festungsbau einen bestimmenden Einfluß ausgeübt. Seit Mitte 
der 80er Jahre mußte man zu Beton- und Stahleindeckungen greifen, um gegen die 
Geschoßwirkungen Deckung zu erlangen. Die Profile wurden verringert, um die 
Werke der Sicht zu entziehen, Artillerie- und Infanteriestellungen wurden getrennt 
und endlich wurden bei Neuanlagen die großen Forts durch zusammenhängende 
Gruppen mehrerer kleinerer Werke ersetzt. Nur die Panzerkuppeln für Sturm- 
geschütze und Beobachtungsstände liegen heute auf der Brustwehr, die der Kampfgeschütze 
im Innern der Werke unter der Brustwehrkante, wenn es Haubitzen, über sie erhoben, 
Festungsbau. 
  
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