IV. Buch. Seemacht und Kriegsflotte. 31
entwickelten technischen Instrumentes einer modernen Flotte läge, aber man war überall
taktisch in eine Sackgasse hineingeraten, und es war schwer, einen Ausweg aus diesem
Wirrsal zu finden.
Als im Winter 1887/88 General v. Caprivi eine Reihe von Seeoffizieren zu einer
Aussprache über diese Frage veranlaßte, herrschte Einstimmigkeit darüber, daß angestrebt
werden müsse, die Formation — und damit die Möglichkeit zum einheitlichen Gebrauch
der Artillerie als Hauptwaffe — so lange als irgend möglich zu erhalten; einen bestimmten
Weg hierzu vermochte aber, außer der eigenen überzeugung, daß es möglich sei, keiner
von ihnen anzugeben. Das Nebeneinander der drei Waffen, von denen Namme und
der vom Panzerschiff aus geschossene Torpedo in seiner damaligen Form freie Beweglich-
keit forderten, also Lösung der Ordnung, während die Artillerie zur Entfaltung ihrer
böchsten Kraft stetigen Kurs und Fahrt, also Fahren in bestimmter Ordnung nötig hatte,
ließ eben eine Gewißheit hierin nicht aufkommen.
So bestand neben dem Versuch des geschlossenen Gefechtes „das aufgelöste Gefecht“
bei uns noch reglementarisch zu recht, als Kaiser Wilhelm II. im Juni 1888 den Thron
bestieg, und die Unzulänglichkeit der materiellen Rüstung zur See wurde gesteigert durch
die Unsicherheit der taktischen Anschauungen. Wir aber haben uns durch diese vorberei-
tenden Ausführungen einen Einblick in die Mißlichkeit der damaligen Lage verschaffen
müssen, weil wir erst daran werden ermessen können, was in den folgenden 25 Jahren
geleistet worden ist.
Die Übergangszeit.
Maßnahmen beim Regierungs— Kurz nach dem Regierungsantritt Kaiser
antritt Wilhelmo I. Wilhelms II. bat General v. Caprivi um Ent-
bindung von seiner Stellung. Ein Chef der
Admiralität, der die gesamte Leitung der Marine in seiner Hand vereinte, ist fortan
nicht wieder ernannt worden. Der zur Stellvertretung berufene klteste Seeoffizier,
Bizeadmiral Graf v. Monts, erhielt vielmehr den Auftrag, eine Organisation in die
Wege zu leiten, die Kommando und Verwaltung der Marine wieder voneinander trennte.
So sind denn im Frühjahr 1889 das Reichsmarineamt und das Oberkommando der
NMarine eingesetzt worden. Der Kaiser machte sich zum Chef der Marine, ein
Marinekabinett trat ihm zur Seite.
In diese Zeit des Ubergangs fällt der Umschwung in unserer Schiffbau-
politik. Im August 1888 war, dem Entschluß des Kaisers folgend, der Entwurf zu Etat für
1889/90 dahin abgeändert worden, daß neben den andern Bauten vier große Panzerschiffe
(bienachherige „Brandenburg“-Klasse) gefordert wurden. Die vier Schiffe sollten zu gleicher
Zeit gebaut werden, um möglichst schnell den Kern einer Schlachtflotte zu bilden. Denn
einer solchen könne das Deutsche Reich ebensowenig entraten, wie einer genügenden
Anzahl moderner geschützter Kreuzer zum Schutz des eigenen und zur Schädigung
des feindlichen Handels. Die in den DOenkschriften zu früheren Etats geäußerten
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