IV. Buch. Seemacht und Kriegeflotte. 3
angelegt auf den Krieg mit zwei Fronten, also gegen bedeutende Ubermacht, hatten sich
auf Kämpfe um die Hafeneingänge und Flußmündungen beschränkt. Gefechte in freiem
Wasser, die freie taktische Anschauungen über den Flottenkampf hätten fördern können,
waren selten daraus entstanden. Wo sie aber vorkamen, da mußte die Ubung schnell
abgebrochen werden, denn der wilde Massenkampf, wie er damals als wahrscheinlich
angesehen wurde, konnte weder dargestellt noch erprobt werden.
Erreichte dann im Herbst die Ubungszeit ihr Ende, so wurden die Kamppfschiffe
wieder außer Dienst gestellt, das gesamte Personal für den Winterdienst neu verteilt
und der geringe Lehrstoff, der im Sommer gewonnen worden war, zerrann fast völlig.
Eine Tradition zu schaffen, die Gewonnenes festhielt, war auf diese Weise fast unmöglich,
eine wirkliche Vorbereitung auf den Ernstfall des Krieges ebenfalls. Letzteres wurde
noch dadurch erschwert, daß zwischen den Indienststellungen des Sommers und der für
den Krieg geplanten Zusammensetzung der Flotte ein Zusammenhang nicht bestand.
Selbst wenn während der Ubungsperiode ein Krieg ausgebrochen wäre, hätte die Mobil-
machung damit begonnen werden müssen, die notdürftig eingefahrenen Kampfschiffe
neu zu besetzen, weil — nach den bestehenden Bestimmungen, die den Verhältnissen
der Armee entsprachen — die für den Krieg zu bildenden Schiffsbesatzungen aus aktivem
Personal und Reservisten gemischt wurden. Dazu mußte aber eine gänzlich neue Ver-
teilung des gesamten Personals der Flotte eintreten: die Mobilmachung begann sozu-
sagen mit einer Demobilmachung.
Trotz dieser so überaus ungünstigen Verhältnisse ist die deutsche Flotte als erste
unter allen in den nächsten Zahren dazu gelangt, „durch zweckdienliche Versuche und
daran geknüpfte richtige Folgerungen die Taktik schon im Frieden auf eine durchaus
sichere Grundlage zu stellen.“ Schon die Sommerübungen der Manöverflotte in den
ZJahren 1889—1891 unter Leitung der Vizeadmirale Knorr und ODeinhard brachten nach
den vom Kaiser dafür erlassenen Bestimmungen wertoolles praktisches Material zur
Klärung taktischer Fragen. Kommissarische Beratungen schlossen sich an, und ge-
meinsame Erwägungen der beiden obersten Marinebehörden sollten versuchen, die Schwie-
rigkeiten zu beseitigen, die in der bestehenden Organisation der Flotte, wie ich sie soeben
beschrieben habe, Hindernisse für eine gesunde Weiterentwickelung geschaffen hatten.
Bereits damals traten die Anschauungen des jetzigen Staatssekretärs des Reichs-
marineamts, dessen organisatorische Begabung schon in seiner langjährigen Tätigkeit
als Inspekteur des Torpedowesens sich bewährt hatte, hervor und fanden die Billigung
des alles überwachenden, überall fördernd eingreifenden Chefs der Marine, des Kaisers.
Und wie es sich schon beim Aufbau unseres Torpedobootswesens gezeigt hatte, mußte
man bei all den weitschichtigen Arbeiten erkennen, daß eine Förderung nur zu erwarten
sei, wenn bei dem nun in Gang kommenden Wiederaufbau der Flotte Organisation,
Technik und Taktik in Einklang mit einander kämen, ja daß dem Taktiker, für dessen
Tätigkeit im Kriege dieser ganze Apparat doch geschaffen werden sollte, auch bei seinem
Aufbau eine entscheidende Stimme zukäme. Ich folge daher auch zunächst weiter den
Schritten zur Förderung der taktischen Entwickelung.
Im Zahre 1892 haben nach Sichtung der bisher gewonnenen Ergebnisse und auf
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