34 Seemacht und Kriegsflotte. IV. Buch.
ihrer Grundlage weiterbauend, spstematische Ubungen in größerem Maßstabe begonmen.
Das Oberkommando, in das der Kipitän zur See Tirpitz als Chef des Stabes berufen
worden war, übernahm ihre Leitung. Dieser Behörde sind daher vom Kaiser auch weiter-
gehende Befugnisse im Rahmen des Ganzen zugewiesen worden, als sie bisher hatte.
Das Reichsmarineamt wurde immer weiter den aus der Front kommenden Organi-
sationsplänen zugänglich, stellte an Schiffen zur Verfügung was notwendig war, zeit-
weilig geschah dies sogar auf Kosten der sonstigen Friedensausbildung und des Dienstes
im Ausland. Denn die Erprobungen gingen im großen Rahmen vor sich, und dies
mußte, selbst unter zeitweiliger Zurückschiebung anderer Aufgaben, geschehen, wenn
Bleibendes geschaffen werden sollte. Wollten wir doch ein Bild davon gewinnen, wie
größere Verbände von Schiffen, größere als wir damals für den Kriegsfall an Kampf-
schiffen überhaupt zur Verfügung hatten, geführt werben müßten. Zugleich war man
sich aber darüber klar, daß das Einzelschiff und die Unterverbände in ihrer Schulung
um so fester gefügt sein mußten, je größer der Schlachtverband war, dem sie angehörten.
Daß dies bei der vorher geschilderten Art und Weise der kurzen Indiensthaltung beliebig
ausgewählter Schiffe nicht zu erreichen war, hatte man erkannt, und so ist denn damals
schon damit begonnen worden, innerhalb der verfügbaren Mittel den Kern der Schlacht-
flotte in der für den Krieg geplanten Zusammensetzung dauernd in Dienst zu halten.
Wie wenig zahlreich diese Schiffe waren, wie wenig sie den Anforderungen mo-
derner Kriegführung für den Hochseekampf entsprachen, wissen wir. Da mußte oft die
Phantasie ersetzen was fehlte. Die noch mit voller Takelage versehenen Schulfregatten
stellten Panzerschiffe dar, Torpedoboote taten Kreuzerdienste, und der als Artillerieschul-
schiff gebaute „Mars“ fungierte als Flottenflaggschiff. So haben wir in der Reihe
der folgenden Fahre eine Zeit durchgemacht, die — man kann es ohne Uberhebung sa-
gen — einzig dasteht in der Geschichte der Flotten. Wir haben uns von Zrrtümern nicht
freigehalten, vieles, was uns zeitweilig als unumstößlich richtig erschien, ist heute
Überholt, aber die deutsche Flotte, die an Zahl und Brauchbarkeit der Schiffe hinter
vielen anderen zurückstand, ist ihnen allen vorangegangen in ihrer taktischen Entwickelung.
Mit ungeeigneten Schiffen, die eigentlich nur Substitute waren für das Schiff, mit
dem gefochten werden sollte, haben wir die artilleristische Linientaktik geschaffen, die
bald darauf in allen großen Flotten sich durchzusetzen begann.
Nur auf diese Weise konnten aber auch die Entschlüsse gefaßt und die Pläne vor-
bereitet werden, aus denen dann später das Flottengesetz geboren worden ist. Denn um
diese taktische Entwickelung hat sich auch alles gruppiert, woraus der Aufbau unserer
Klotte, wie er heute vor uns steht, entstanden ist: die strategische Grundidee, die in der
Schlachtflotte gipfelt, die Ausgestaltung der Schiffstoypen und ihre Zusammenfassung
zur Flotte, die Einteilung des Ubungejahres in Abschnitte für die neu geschaffenen ak-
tiven Geschwader und Oidisionen, die Aufstellung der NReglements und der Anleitungen
für den Seekrieg. Auch die strategischen Manöver konnten nun neben Klärung anderer
Fragen weitere Fortschritte in der Taktik bringen. Wo bei ihnen die Parteien aufeinander--
stießen und so stets wechselnde, der Wirklichkeit angenäherte Kampfesaufgaben ent-
standen, gelang es, zur Förderung der Kommandierenden und der Unterführer das in
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