Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
36 Seemacht und Kriegsflotte. IV. Buch. 
  
Innerpolitische Schwierigkeiten für Während wir so begonnen hatten, Klar- 
den Ausbau der Schlachtflotte. beitdarüber zuerlangen, wie eine moderne 
Klotte beschaffen sein müsse und wie sie im 
Kriege zu verwerten sein würde, kamen die Verhandlungen mit dem Reichstage über 
Verstärkung unseres Schiffsmaterials wenig vorwärts. Dem ersten Staatssekretär des 
Reichsmarineamts, Admiral Heusner, der schon nach kurzer Zeit krankheitshalber seinen 
Abschied nehmen mußte, war Admiral Hollmann gefolgt. Er trat im Jahre 1897 mit 
einer Denkschrift vor den Reichstag, in der an der Hand des zwar längst überholten, der 
Offentlichkeit gegenüber aber immer noch eine Nolle spielenden Flottengründungsplanes 
von 1873 der Schiffsbestand der Flotte einer Prüfung unterzogen und Vorschläge zur 
Besserung gemacht wurden. ’ 
DiesesZurückgreifenaufeinenle,vernochmitPanzetftegattemPanzerkots 
vetten, Monitors, schwimmenden Batterien, Korvetten, Avisos und Segelbriggs zur 
Schiffsjungenausbildung rechnete, der durch Neubewilligungen fast jedes Fahr abge- 
ändert worden war und der namentlich nach den jetzt das Offizierkorps erfüllenden Zdeen 
kaum noch einen Anhalt bot, war vielleicht geboten durch parlamentarische Rücksichten. 
Auch bei Einbringung des Flottengesetzes hat er noch eine Rolle gespielt, eine durchgreifende 
Neubildung der Flotte war aber auf dieser Grundlage kaum zu erreichen. Wie sollte 
man den neuen gährenden Wein in diese alten Schläuche füllen? 
Um nicht länger mit der Fiktion zu rechnen, daß die alten Panzerfregatten noch für 
die Schlacht brauchbar seien, waren drei von ihnen durch eine Allerhöchste Kabinettsordre 
in die Klasse der Kreuzer versetzt worden. Als der Staatssekretär den mit dieser redu- 
zierten Bestandszahl an Schlachtschiffen rechnenden Etat und die daraus entstehenden 
Mehrforderungen für Neubauten in der Budgetkommission des Reichstages zu vertreten 
hatte, fiel zuerst das Wort „uferlose Flottenpläne“. Man verlangte Aufklärung, ließ sich 
an dieser nicht genügen und lehnte, später auch im Plenum, das Wesentliche der Neu- 
forderungen ab. Durch Zustopfen von Lücken, selbst durch den Bau einzelner Panzer-- 
schiffe und Kreuzer, die in diesen JZahren bewilligt worden sind, war dem unbefriedigen- 
den Zustand nicht abzuhelfen. 
In der dem Reichstag damals vorgelegten Denkschrift waren Tabellen enthalten, 
die zeigten, was andere Staaten im Vergleich zu Deutschland seit 1890 für ihre Flotten 
getan hatten, um daraus die Notwendigkeit größerer Zuwendungen für uns nachzuweisen. 
Unter den Flotten, die hierbei zu der deutschen in Beziehung gebracht werden, taucht 
zum erstenmal die englische auf, ferner die der Vereinigten Staaten, und im Text 
wird auch auf die japanische hingewiesen. Ich möchte hierin einen markanten Unter- 
schied sehen zu der Denkschrift von 1889/90, die nur die Marine Rußlands, Italiens und 
Frankreichs der unfrigen gegenübergestellt hatte. Zwar sind strategische oder politische 
Darlegungen hier wie dort nicht an diese Gegenüberstellung geknüpft, aber der Unter- 
schied läßt doch — absichtlich oder unabsichtlich — erkennen, wie die Bedeutung einer 
Flotte für Deutschland sich zu verschieben begann. Hatte man erkannt, daß die See 
die Hochstraße der Welt ist, und fand nun England vor unserer Tür mit seiner starken Flotte 
und mit dem Handelsmonopol, das es in der Welt besessen hatte und nicht verlieren weollte? 
  
  
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