Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
40 Seemacht und Kriegsflotte. IV. Buch. 
  
Fabre 1890 aber fand in Ostafrika eine Abgrenzung umstrittenen kolonialen Besitzes 
zwischen England und Deutschland statt, die, von vielen als ein unnötiges Aufgeben 
deutscher Rechte angesehen, viel Bitterkeit gegen den Reichskanzler, General v. Caprivi, 
erregt hat. Daß dieser Vertrag uns den Besitz von Helgoland brachte, wurde als genü- 
gender Ersatz nicht angesehen. Wir brauchen auf die kolonialen Erörterungen nicht ein- 
zugehen, uns beschäftigt in erster Linie die Flotte und was ihr damals not tat. Hierfür 
genügt aber zu fragen: wie stände es trotz unserer heutigen Flottenstärke um unsere 
Stellung in der Nordsee, wenn Helgoland jetzt noch englischer Besitz wäre 7 um zu zeigen, 
wie das Jahr 1890 dem Flottengesetz vorgearbeitet hat. Einem zur See wehrhaften 
Deutschen Reich hätte auch England die Insel nie ausgeliefert, zur Wehrhaftigkeit aber ge- 
hören Schiffe und nicht der Küste vorgelagerte Inseln. 
Wir haben gesehen, was in der von mir- 
als Ubergangszeit bezeichneten Periode ge- 
schehen war, um das strategische und taktische Denken der Flotte loszulösen von der Küste 
und hinauszuführen auf die See. Vor derselben Aufgabe stand nun der im Juni 1897 
von seinem Posten als Chef der Kreuzerdivision in Ostasien vom Kaiser heimberufene 
neue Staatssekretär des Reichsmarineamts, Kontreadmiral Tirpitz, gegenüber dem 
Reichstage und dem Deutschen Volke. Wohl hatte die Hebung des überseeischen Handels 
und Verkehrs und der Besitz von Kolonien die Blicke hinausgelenkt über den Ozean, 
der schon seit Anfang der achtziger Jahre bestehende Anschluß von Hamburg und Bremen 
an die Zollgemeinschaft des Reiches hatte Binnenland und Küste einander näher ge- 
bracht, jedes Zahr trugen Tausende von ausgedienten Mannschaften der Kriegsmarine 
den Flottengedanken über das ganze Land, aber noch immer fehlte in den breiten Klassen 
der Wähler wie der Abgeordneten das richtige Verständnis dafür, was Wehrhaftigkeit 
zur See für das ganze deutsche Volk bedeute und wie sie beschaffen sein müsse. So hat 
denn damals neben den vorbereitenden Arbeiten für die dem Reichstag vorzulegenden 
Entwürfe zunächst eine umfassende Aufklärungsarbeit des Reichsmarineamts eingesetzt, 
um die öffentliche Meinung für sich zu haben, wenn die Vorlage zur Erörterung käme. 
Auch das Flottengesetz von 1900 ist nicht aus einem Guß entstanden, auch bier galt 
es, vorzubereiten und loszulösen von früher dem Reichstage gemachten Vorlagen. Der 
Gedanke, das was man fordern wollte in die Form eines Gesetzes zu bringen und damit 
frei zu machen vom Wechsel der jeweiligen politischen Lage und der Parteigruppierung 
im Reichstage, hat aber von Anfang an bestanden. Er war notwendig, um einen stetigen, 
ökonomischen Aufbau des Flottenmaterials und des Personals zu gewährleisten; er war 
möglich, weil die strategischen und taktischen Anschauungen in allen Marinen sich gefestigt 
hatten, unser eigenes Denken hierüber, dank der gut genützten Vorbereitungszeit, aber 
unabhängig vom Auslande geworden war und wohlvorbereitet, um auch einer größeren, 
schnell wachsenden Flotte als Träger zu dienen. 
Der erste, 1898 eingebrachte Entwurf zum Flottengesetz ging noch darauf aus, die 
Durchführung des Flottengründungsplans vom Jahre 1873 in zeitgemäßem Schiffs- 
material sicherzustellen. Er trägt daher der Möglichkeit eines Seekrieges gegen eine große 
Einbringung des Flottengesetzes. 
  
398
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.