42 Seemacht und Kriegeflotte. IV. Buch.
schützer und Handelszerstörer, die früher als Sonderschiffe den Kreuzertyp so vielgestaltig
gemacht batten. Zeder Kreuzer muß dem Oienst bei der Schlachtflotte gewachsen sein, Hei-
matsflotte und Auslandsflotte sind den Typen nach gleichartig und daher austauschfähig.
In seinem knappen Kahmen gibt das Flottengesetz von 1900 also nicht nur Normen
für den Aufbau der Hlotte, sondern für den, der es zu lesen versteht und seine Vorge-
schichte kennt, auch dafür, wie diese Flotte als politisches Machtmittel strategisch und
taktisch gebraucht werden soll. Es wird dadurch zu einem Programm für die Wahrung
der Seemachtstellung des Deutschen Reiches. Drum beginnt seine Begründung mit dem
Satz: „Für das Deutsche Reich ist die Sicherung seiner wirtschaftlichen Entwickelung, im
besonderen seines Welthandels, eine Lebensfrage. Zu diesem Zwecke braucht das
Deutsche Reich nicht nur Frieden auf dem Lande, sondern auch Frieden zur
See —nichtaberden Friedenumjeden Preis, sondern einen Frieden in Ehren,
der seinen berechtigten Bedürfnissen Rechnung trägt.“
Oie englische Flotte wird Maßstab Das Flottengesetz wollte also den bewaff-
neten Frieden, wie er für das Land längst
für unsere- Flottenrüstung. besteht, weil politisches Gleichgewicht nur
auf militärischem Gleichgewicht sicher ruhen kann, auf die See übertragen. Als Maß-
stab für die zu schaffende Rüstung mußte nach richtigen militärischen Grundsätzen unter
den Flotten der möglichen Gegner die des seemächtigsten ausgewählt werden, die
englische. Hierdurch schloß man nicht nur alle anderen Gegner mit ein, sondern es
wurde auch dem Umstande Rechnung getragen, daß für England in dem schnellen An-
wachsen unseres Handels und unserer Industrie der stärkste Anlaß zum Zurückdrängen
unserer friedlichen Bestrebungen und damit zu Maßregeln liegen kann, denen wir nicht
wehrlos gegenüberstehen durften.
Dem dadurch entgegenzutreten, daß wir eine stärkere Flotte bauten, wie England
sie hat, war unmöglich und ist auch nie beabsichtigt gewesen. Aber der Anreiz zum Kriege
sollte ausgeglichen werden durch den Preis für den Sieg: Deutschland sollte eine so starke
Flotte bekommen, daß die Lücke, die ihr Niederringen in Englands Flottenrüstung
brächte, seine Machtstellung an anderer Stelle der Welt in Frage stellte. Denn wer zum
Kriege gerüstet sein will, darf nicht auf reine Abwehr ausgehen (Küstenschutz, Handels-
schutz), er muß vielmehr imstande sein, durch die Form seines Widerstandes auch dem
stärkeren Gegner einen Schaden zuzufügen, den dieser schwerer empfindet als die Be-
dingungen, die der schwächere für Erhaltung des Friedens stellt. Diese politisch-mili-
tärische Uberlegung hat das Flottengesetz, soweit dies möglich ist, in Zahlen gebracht und
bierfür — ruhige Uberlegung sieht dies jetzt auch in England ein — einen Maßstab ge-
funden, der eine Bedrohung unserseits ausschließt. Eine UÜberspannung der deutschen
Flottenstärke, die England aus sich heraus, d. h. allein durch ihr Vorhandensein, zum Kriege
drängen könnte, wäre vom politischen wie militärischen Standpunkt aus unklug, und auch
das deutsche Volk stellt einen Frieden in Ehren höher als kriegerische Lorbeeren. Es
würde zum Kriege als letztes Mittel sich nur entschließen, wenn man seine Ehre antastet
oder ihm das vorenthält, was es zum Leben braucht. Und nimmt man als notwendig
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