Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
IV. Buch. Seemacht und Kriegsflotte. 4 
  
Länder nichts ändern konnte, das die Lage auf dem Balkan gebracht hat, war selbst- 
verständlich. Uns könnte es ja sogar nur erwünscht sein, und dem Frieden in der Welt 
würde es nur dienen, wenn England erkennen wollte, daß ein dauerndes Zusammen- 
gehen auch mit einem zur See wehrhaften Deutschland möglich ist. Damit es aber auch 
danach handelt, ist notwendig, daß solch Zusammengehen nicht eine societas leonina 
wird. Unsere Flottenrüstung, die wir ja übrigens auch nicht allein Englands wegen 
tragen, würde dadurch nicht überflüssig werden. 
Den deutschen Statsberatungen folgten die englischen. Ihnen war eine allgemein- 
politische Aussprache vorhergegangen, die dem Premierminister Asquith Gelegenheit 
gab zu erklären, daß eine Verpflichtung für England, Frankreich für den Fall eines Krieges 
gegen Deutschland mit Heeresmacht zu unterstützen, nicht bestände. Englische Blätter 
beeilten sich hinzuzufügen, die Absicht zu solcher Unterstützung bestände sicher, denn sie 
läge als ein wesentlicher Akt der Selbstverteidigung im englischen Interesse. 
Bei Vertretung des große Forderungen stellenden Flottenetats bemühte sich der erste 
Lord der Admiralität alsdann, Deutschland gegenüber einen ruhigen Ton zu finden, doch 
ist ihm dies, trotz alles Lobes, das er unserer Flotte spendete, nicht ganz gelungen. Denn 
als eine ruhige Aussprache kann man es wohl nicht bezeichnen, wenn er die aus der Na- 
tur der Dinge herausgewachsene Lage zwischen den beiden Staaten einmal als eine 
„verschwenderische, zwecklose, nichtige Torheit,“ ein anderesmal als „eine der traurigsten 
und törichtsten Kapitel in der ganzen Geschichte der europäischen Zivilisation“ bezeich- 
net. Wenn man allerdings hört, daß er weiter die Vorherrschaft Britanniens zur See 
für „einen Teil des gemeinsamen Schatzes der Menschheit“ erklärt, so können solche, 
teils nerpös gereizten, teils unsachgemäßen Urteile nicht wundernehmen. Gewiß, die 
nach den Siegen der Napoleonischen Zeit entfaltete Friedenstätigkeit des englischen 
Volkes, das sich im 19. Jahrhundert ausbreitete über die Welt, hat diese europäischer 
Gesittung erschlossen und den „gemeinsamen Schatz der Menschheit“ vermehrt. Aber 
soll jedes Gebiet, das weiter noch sich öffnet, auch England gehören? Ist für uns andere 
kein Platz an der Sonne? 
Man findet ja oft bei englischen Politikern die Ansicht vertreten, Englands unbe- 
schränkte Vorherrschaft zur See sei ein Segen für die Welt, und englisches Gerechtig- 
keitsgefühl werde den anderen Staaten schon zukommen lassen was ihnen gebühre. Es 
ist schwer, solche Auffassung mit den Lehren der Geschichte in Einklang zu bringen und 
mit den nüchtern-realpolitischen Anschauungen, die man doch sonst in England hat. 
Sollen wirklich alle anderen im Vertrauen auf englisches Gerechtigkeitsgefühl auf der 
See von seiner Gnade leben? 
Aber noch schärfere Aussprüche finden sich in dieser Rede des englischen Ministers. 
Den Motiven zum deutschen Flottengesetz nachgebildet scheinen die drohenden Worte, 
England könne nie dulden, daß jemals eine andere Seemacht ihm so nahe käme, daß sie 
imstande sei, blos durch einen Druck zur See Englands politische Einwirkung abzulenken 
oder einzuschränken. Eine solche Lage würde ohne Frage zum Kriege führen. Soll denn 
zur See nicht recht sein, was zu Lande als billig gilt? Ist nicht jedes Heer ein Mittel, 
um politischen Forderungen Nachdruck zu verleihen? 
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