Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
IV. Buch. Seemacht und Kriegsflotte. 53 
  
gebiete in Zukunft zu erwerben möglich sein wird, das müssen wir auf jeden Fall fest- 
halten und ausbauen. . 
AuchhietinhabendievergangenenJahrzehnteeinenumfchwungzumbesseren 
gebracht. Die Verhandlungen über die Kolonien und die Flotte, die sich überdecken im 
Etat von Kiautschou, den die Marineverwaltung im Reichstag vertritt, bilden in der heu- 
tigen Zersplitterung der Parteien einen Sammelpunkt für das nationale Denken. Ja 
selbst die grollend und negierend abseits stehende Sozialdemokratie kann ihre, wenn auch 
widerstrebende Anerkennung hier oft nicht versagen. 
Ein Seevolk wie das englische mit all den damit verbundenen Nachteilen und Vor- 
teilen wird das deutsche Volk nie werden. Wie die City das Herz der Weltstadt London 
ist, so sind die großbritannischen Inseln nur das Herz des englischen Weltstaates, des 
britischen Weltimperiums. Die Verteilung und Lagerung der Glieder des deutschen 
Weltimperiums muß anders geartet sein. Großer in sich geschlossener kontinentaler Be- 
sitz ist die Grundbedingung unserer Macht. Wollen wir ihn innerhalb der von allen 
Seiten ihn umdrängenden Gefahren uns erhalten, so bedarf unser Volksleben und un- 
sere Volkswirtschaft einer Differenzierung, die einerseits auf den Doppelerwerb in 
Industrie und Landwirtschaft, andererseits auf die Teilung der Wehrmacht in Flotte 
und Heer sich stützt. 
Aber beide müssen sich ergänzen. Handel und Industrie, wie sie ruhen auf den fried- 
lichen Elementen der Seemacht, haben Deutschland zu einem reichen Lande gemacht. Auch 
für den inneren Markt, der sich zu einem europäüschen erweitert, brauchen sie die über- 
seeischen Einkaufsmärkte und als Regulator und Mitträger für ihren Erwerb die über- 
seeischen Absatzmärkte des Weltverkehrs. Dieser innere Markt mit seiner geschlossenen 
Masse kaufkräftiger, gut gelohnter Industriearbeiter wird auch der Landwirtschaft die 
Preise bewilligen können, die sie braucht, um mit deutschen seßhaften Leuten den Boden 
zur höchsten Ertragsfähigkeit zu bringen. Solch reiches Land kann dann in Stadt und 
Land eine gesunde, wehrhafte Bevölkerung tragen, deren Deutschland für das Heer bedarf. 
So soll das Zubiläumsjahr 1913, das zugleich das hundertjährige Erinnerungsjahr 
des Volkes in Waffen ist, das Deutschland von der Fremdherrschaft befreite, uns die all- 
gemeine Wehrpflicht wieder neu aufrichten, um unserem Vaterlande seinen Besitzstand 
zu wahren gegen Zedermann. Eck- und Tragepfeiler dieses Gebäudes nach See hin 
aber ist eine starke kriegsbereite Flotte, kriegsbereiter noch als bas Heer. Die Kraft des 
Landkrieges beruht auf der Zahl der Krieger, die ein Land wehrhaft machen kann. Zur 
Festhaltung der Grenzen und zur Vorbereitung des weiteren genügt dort auch ein all- 
mähliches, wenn auch tunlichst schnelles Anwachsen zur Kriegsstärke. Der Seekrieg 
braucht weniger Menschen, er hat mit diesen aber gleich im Beginn des Krieges andere 
Aufgaben zu erfüllen. Zedes Hinausschieben der Entscheidung würde die Aufgabe stellen, 
zurückzuerobern, was man dem Feinde überließ von dem im Frieden gemeinsamen Be- 
sitz der See. Und hierzu hat unsere Flotte gerüstet und gearbeitet für den Fall, daß man 
uns zum Kampfe zwingt. 
Als in den Jahren 1904 und 1905 der neuste große Seekrieg im fernen Osten seine 
Schlachten schlug, da konnten wir mit Genugtuung feststellen, daß sie in rein taktischer 
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