Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
42 Auswärtige Politik. I. Buch. 
  
Das Abkommen diente dem Frieden, indem es die Algesiras-Akte in denjenigen Punkten 
ergänzte, in denen sie sich in der Prazis als verbesserungsfähig erwiesen hatte. Die Be- 
schlüsse der Algesiras-Konferenz selbst wurden durch das Abkommen von 1909 ausdrück- 
lich bestätigt. Das deutsche Mitbestimmungsrecht über das Schicksal Marokkos, dieses 
Recht, das einer Annexion Marokkos durch Frankreich entgegenstand, wurde durch den 
Sondervertrag in keiner Weise berührt. Was später für den Verzicht auf unser Recht 
erreicht wurde, mag es nun viel oder wenig sein, mag das uns zugefallene Stück Kongo 
einen lleinen oder großen Wert haben, ist jedenfalls erlangt worden auf der Grundlage 
von Algesiras und dank unseres Vorgehens im Zahre 1905. Uns einen Teil von Marokko 
anzueignen, haben wir nie beabsichtigt. Richt aus Furcht vor Frankreich, sondern in 
unserem eigenen Interesse. Wir Hätten dort neben Frankreich auch England und 
Spanien gegen uns gehabt. Wir durften auf der anderen Seite auch nicht hoffen, 
durch übertriebenes Entgegenkommen in der Marokkofrage Frankreich zu versöhnen. 
Einen wie hHohen wirtschaftlichen Wert Marokko auch für Frankreich haben mag, einen 
wie bedeutenden politischen und militärischen Machtzuwachs sich Frankreich von dieser 
Vergrößerung seines nordafrikanischen Kolonialreichs versprechen mag, seine Marokko- 
Politik war ihm gerade in den kritischen Momenten noch mehr Mittel zum Zwerck als 
Selbstzweck. War es gewissen französischen Kreisen mit der anfänglichen Ignorierung 
Deutschlands um einen wirksamen Vorstoß gegen die Weltmachtstellung und das A’n- 
sehen Deutschlands mit englischer Hilfe zu tun gewesen, so glaubte man später eine 
Gelegenheit winken zu sehen, unter günstigen Bedingungen an der Seite Englands zur 
entscheibenden Abrechnung mit Deutschland zu kommen. Diese Tendenzen der franzö- 
sischen Politik rückten die Marokkofrage zweimal in das Vordertreffen der großen Politik 
und stellten die Erhaltung des Weltfriedens in Frage. 
Unversöhnlichkeit Frankreichs. Bei der Betrachtung unferes Verhältnisses 
zu Frankreich dürfen wir nicht vergessen, daß 
Frankreich unversöhnt ist. Das letzte Ziel französischen Strebens wird, menschlichem Er- 
messen nach, noch auf lange hinaus das sein, die heute noch fehlenden Voraussetzungen für 
eine aussichtsreiche Auseinandersetzung mit dem Deutschen Reiche zu schaffen. Halten wir 
uns diese Wahrheit nüchtern gegenwärtig, so werden wir Frankreich gegenüber das rich- 
tigste Verhältnis gewinnen. Entrüstete Deklamationen über französische Unverbesserlich- 
keit sind ebenso geschmacklos wie unfruchtbare Werbeversuche. Der deutsche Michel hat es 
nicht nötig, immer wieder mit einem Blumenstrauß in der Hand und bisweilen ziemlich 
linkischer Verbeugung sich der spröden Schönen zu nähern, deren Blick auf den Wasgau 
gerichtet ist. Nur die langsame Erkenntnis der Unabänderlichkeit des Verlustes von 1871 
kann Frankreich zur endgültigen und vorbehaltlosen Gewöhnung an den im Frankfurter 
Frieden festgesetzten Zustand der Dinge bringen. Es ist nicht unmöglich, daß die krampf- 
hafte Anspannung der letzten militärischen Kräfte in ihrer Rückwirkung auf die wirt- 
schaftlichen und sozialen Verhältnisse Frankreichs diesen Beruhigungsprozeß beschleunigen 
wird und daß sich hierbei wieder einmal das französische Sprichwort als richtig bewährt, 
„due Texcès du mal amene la guérison"“. Die Wiedereinführung der dreijährigen 
  
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