Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
V. Buch. Oie Kolonien. 35 
  
kommen mit der Tientsin-Puchou-Eisenbahn Zugang zum Hoangho erhalten hat. Über 
sie laufen namentlich auch die Kohlenförderungen der demnächst mit der Eisenbahn- 
gesellschaft ganz zu verschmelzenden Schantung-Bergbaugesellschaft, die 1912 insgesamt 
bereits nahezu 3 Millionen Tonnen erreicht hatten. Hierdurch gelang es, den Schiffs- 
verkehr — auch den fremdländischen — erheblich zu vermehren, den Handel des Hinter- 
landes immer mehr nach Tsingtau zu ziehen, aber auch einen Eigenhandel zu schaffen, 
so daß die Kolonie schon nach einigen Zahren einen guten und gleichmäßigen Auf- 
schwung nahm, während für die deutsche Volkswirtschaft eine von Jahr zu Jahr zu- 
nehmende Anzahl wichtiger und gewerblicher Handelsbeziehungen entstand. Dem 
Unterrichtswesen wurde größte Fürsorge zugewandt und durch die Organisation des- 
selben spstematisch auf eine Annäherung europäischer und chinesischer Zivilisation hin- 
gearbeitet. Die Entwickelung, welche die deutsch--chinesische Hochschule nahm, die 
350 Schüler zählt, ohne daß dem Verlangen um Zulassung wegen Raummangels genügt 
werden könnte, zeigt, daß es immer mehr gelingt, deutsche Bildung und deutsche 
Sprache in Ostasien zu verbreiten. Daneben ist aber auch für europäische Kinder durch 
Errichtung eines ständig an Schülerzahl zunehmenden Reform-Realgymnasiums bis 
Untersekunda und der Berechtigung zum Einjährig Freiwilligen-Oienst gesorgt. 
A#Auch auf anderen Gebieten wurde eifrig gearbeitet. Erwähnt seien die Einführung 
des Strohbortenflechtbetriebes, die Förderung der Seidenraupenzucht, des Wege- und 
Straßenbaues, die nach einheitlichem Plane erfolgte Anlage und Ausdehnung der Stadt, 
die in der Landordnung zum Ausdruck gelangende planmäßige Bodenpolitik und die 
von Anfang an der Aufforstung von Odländereien zugewandte Fürsorge der Regierung. 
Diese gesunde Grundlage, auf der die Entwickelung der Kolonie aufgebaut ist, dürfte 
wesentlich mitgewirkt haben, daß die schweren weltwirtschaftlichen und ostasiatischen 
Krisen der Zahre 1907/8 und 1910 nicht nur leichter und schneller überwunden wurden, 
als in den anderen großen Handelsplätzen des Ostens, sondern sogar dazu beitrugen, 
daß sich fremdländische Firmen in zunehmendem Maße im Schutzgebiete niederließen, 
und daß die Zuwanderung von Chinesen so wuchs, daß sie nach den neuesten Feststellun- 
gen auf etwa 12 000 Seelen in einem Jahre geschätzt wird. Dementsprechend ist der 
Gesamthandel in den letzten 10 Fahren von rund 20 auf 180 Millionen, die eigenen 
Einnahmen von 200 000 auf über 6 Mill. M. gestiegen, denen man allerdings entgegen- 
stellen muß, daß der jährliche Reichszuschuß, einschließlich der Ausgaben für das ost- 
asiatische Marinedetachement, der sich bis 1912 im ganzen auf 156 /8 Mill. M. beläuft, 
immer noch 91 Millionen beträgt. 
Rückblick und Ausblick. 
Oas bezahlte Lehrgeld Sicherlich kann man nicht mit ungeteilter Freude 
nicht zu hoch. auf die letzten fünfundzwanzig Jahre kolonialer Ent- 
wickelung zurückblicken, die in den beiden ersten Jahr- 
zehnten dieses Abschnitts viele Stockungen und Rückschläge aufzuweisen hat. Aber diese 
  
  
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