Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Erster Band. (1)

  
36 Die Kolonien. V. Buch. 
  
sind keiner Kolonialmacht in ihren Kindheitsjahren erspart geblieben. Im Gegenteil: alle 
übrigen Kolonialländer haben erheblich größere Opfer an Gut und Blut bringen müssen, 
als wir. Wir haben Lehrgeld zahlen müssen, aber schließlich kein zu hohes gegenüber dem 
bleibenden Gewinn, den uns die Kolonien gebracht haben und hoffentlich in noch ge- 
steigertem Maße bringen werden. Sie haben den Gesichtskreis des deutschen Volkes 
erweitert, indem sie noch intensiver, als dies unser Außenhandel vermochte;, den Blick 
aller Berufsstände unseres Volkes über das Meer lenkten. Unsere Kolonialpolitik hat 
im Verein mit dem Ausbau unserer Flotte aus der Kontinentalmacht eine Weltmacht 
geschaffen. Durch unseren Kolonialbesitz ist ferner überseeische Betätigung auf deutschem 
Grund und Boden ermöglicht worden. Ihm haben wir es zu danken, daß von den Tau- 
senden, welche noch immer jährlich das Vaterland verlassen, wenigstens ein — wenn 
#deeller Rutzen der Kolonien auch nur kleiner — Prozentsatz durch Nieder- 
lassung auf deutscher Erde dem Deutschtum dau- 
2 it. 
far das deutsche Bo ernd erhalten wird. Unsere Kolonien haben 
aber auch ihr Teil dazu beigetragen, uns bis zu einem gewissen Grade vor Verweich- 
lichung und Materialismus zu bewahren. Denn die Pionierarbeit drüben, wenn sie 
von Erfolg gekrönt sein soll, erfordert einen ganzen Mann, der Furcht nicht kennt, 
sich vor keiner Arbeit scheut und überall selbst mit zugreift, der Strapazen, Hunger 
und Ourst erträgt, ohne mit der Wimper zu zucken. Hierin Haben es unsere braren 
Kolonialkrieger allen voran getan! Sie haben uns den handgreiflichen Beweis 
geliefert, daß trotz der langen Friedenszeit der Geist, der unser Volk vor 100, 50 und 
40 Jahren beseelte, noch nicht geschwunden ist, wie sehr auch dagegen anzustürmen ver- 
sucht wird. Aber kaum weniger als die Kolonialkriege härtet die koloniale Friedens-- 
arbeit ab und stählt den Charakter; das ist der große moralische ANutzen, den wir aus 
unseren Kolonien ziehen. Aber nicht nur in ideeller, auch in materieller Beziehung ver- 
Bedeutung der Kolonien sprechen die Kolonien ein immer größerer Gewinn 
für Handel, Industrie und für unser Vaterland zu werden. Denn seit der zwei- 
Landwirkschafl- ten Hälfte des ersten Jahrzehnts dieses Fahrhunderts 
können die wirtschaftlichen und finanziellen Grund- 
lagen unserer Kolonialpolitik als so gesund betrachtet werden, und befinden sich die 
Schutzgebiete in einem so anhaltenden Aufschwung, daß eine ruhige stetige Weiter- 
entwickelung völlig gesichert erscheint, insofern sie nicht durch äußere Erschütterungen 
gestört wird. Sie kann durch Fehler und Mißgriffe wohl vorübergehend beeinträchtigt 
und verlangsamt, aber kaum mehr ernstlich gefährdet werden. Ganz besonders wichtig 
ist der Erwerb unserer Kolonien für unseren Handel und unsere Industrie. Denn 
mit der weiteren Erschließung und wirtschaftlichen Entwickelung, mit der Zunahme der 
Bedürfnisse der Eingeborenen und ihrer Kaufkraft, mit dem Wachsen der weißen Be- 
völkerung wird die Bedeutung derselben als Absatzmärkte sich nach menschlicher Vor- 
aussicht so heben, daß Handel und Industrie große Vorteile aus ihnen ziehen werden. 
Dies ist um so freudiger zu begrüßen, als sich unverkennbar bei anderen Kolonial- 
mächten immer mehr das Bestreben geltend macht, ihre Kolonien ausschließlich für 
ihren eigenen Absatz nutzbar zu machen. Von noch größerer Bedeutung dürften sie 
  
  
  
  
  
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