Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Zweiter Band. (2)

  
VI. Buch. « Wem ·295 
  
Universalität unseres Bankwesens die Männer an der Spitze haben, wird sie leichter 
in den Stand setzen, die großen Ziele und Aufgaben des deutschen Wirtschaftslebens 
zu erfassen und sich von Augenblicksgewinnen und Augenblickserfolgen fernzuhalten. Nach- 
teile sind selbstverständlich ebenfalls vorhanden: man kann manchmal Zweifel darüber 
begen, ob es für den Einzelnen noch möglich ist, den ungeheuren Geschäftsbetrieb der 
führenden Großbanken und aller unter ihrem Machtbereich stehenden Institute zu kon- 
trollieren. Und man darf ferner nicht vergessen, daß die Monopolstellung der Riesen-= 
banken den mittleren und kleineren Eistenzen im Bankgewerbe das Weiterbestehen stark 
erschwert, zum Teil unmöglich macht. Ommer mehr verschwinden auch im Bankgewerbe 
die selbständigen Existenzen und an ihre Stelle tritt, ganz wie sonst im Handel und in 
der Industrie, ein Heer von Angestellten, die ähnlich wie bei den Behörden in beinah 
bureaukratisch spezialisierter Arbeit ihr Brot finden. Alles in allem aber kann wohl 
nicht bezweifelt werden, daß die Konzentrationsbewegung bei Banken und Industrie 
für das deutsche Wirtschaftsleben, so wie es nun einmal ist, nützlich und beinahe not- 
wendig war, denn ohne die riesigen Machtfaktoren, die wir in unserem Bankspstem und 
in der Industrie besitzen, würden wir schwerlich den wirtschaftlichen Rang errungen 
haben, den wir heute einnehmen, und würden wohl kaum in der Lage sein, eine für 
die weitere Entwicklung richtige und erfolgreiche Handelspolitik zu treiben. 
Gehen wir nun, nach diesen mehr allgemeinen Betrachtungen, etwas näher auf 
Einzelheiten ein, und sehen wir uns die Geschäftstätigkeit der deutschen Banken im 
letzten Vierteljahrhundert genauer an. 
. Unter den regulären Geschäften der Banken ist das 
Das Depositengeschaft. Depositengeschäft ein ganz besonders wichtiges, denn 
im letzten Grunde beruht ja die Machtentwicklung unserer Großbanken auf dem An- 
wachsen der Depositen und fremden Gelder. Erst nach 1870 ist eine planvolle Pflege des 
Depositengeschäfts bei uns ausgenommen worden, und die Errichtung von Depositen- 
kassen in den verschiedenen Teilen Berlins und seiner Vororte sowie an anderen Plätzen 
des Reichs, gewöhnte die Gewerbetreibenden und Kapitalisten langsam daran, auch 
die kleinsten verfügbaren Summen zinsbar anzulegen. Es dauerte viele Jahre, ehe 
das Publikum diese neue Art, über seine Gelder produktio zu verfügen, annahm, denn 
es war bei uns üblich, viel größere Kassenbestände zu halten, als eigentlich nötig war. 
Das ganze Bankwesen war noch zu wenig entwickelt; nur die wenigsten Geschäftsleute 
und Private besaßen eine regelmäßige Bankverbindung. Der Scheckverkehr, Giroverkehr, 
Abrechnungsverkehr ezistierten nicht, und so mußten sich die Banken ihre Depositen- 
kunden gewissermaßen erst schaffen. War es aber einmal gelungen, einen Geschäftsmann 
zu einer dauernden Verbindung mit der Depositenkasse zu bewegen, so entwickelte sich 
das übrige von selbst. Zunächst wurde dem soliden Geschäftsmann ein Kredit eröffnet, 
und aus der laufenden Geschäftsverbindung ergab sich dann die Hingabe von Depositen 
an die Bank. Der Kunde der Oepositenkasse gewöhnte sich daran, seine Wechsel 
bei der Bank zu diskontieren, Schecks auf sie auszustellen, er ließ sich Akzeptkredit ein- 
räumen und besorgte durch die Depositenkasse auch den An- und Verkauf von Effekten. 
  
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