X. Buch. Die Entwicklung der Chirurgie. 237
sache, daß der Krebs im Anfange stets ein ganz lokalisiertes Leiden ist, und erst im spä-
teren Verlaufe durch Verbreitung auf dem Lymph- und Blutwege zu einer Verallge-
meinerung im Körper führt. Gelänge es, jeden Krebs in seinen Anfängen zu entdecken,
so würde das Problem der Krebsbekämpfung gelöst sein, denn die im Frühstadium, vor
Beginn der Weiterverbreitung, radikal entfernte Geschwulst kehrt fast niemals wieder.
Daher bieten die Krebse, welche sich am frühesten bemerkbar machen, auch die besten Aus-
sichten auf dauernde Heilung. Der Hauttrebs, der an der freien Körperoberfläche nur
schwer der Beobachtung entgeht, wird bei rechtzeitiger Operation fast stets endgültig
geheilt, der Lippenkrebs, der zwar auch früh auffällig wird, wegen seiner Häufigkeit
bei der Landbevölkerung aber meist recht spät in Behandlung kommt, gibt trotzdem,
selbst wenn man die ungünstigsten, vorgeschrittensten Fälle mit in Rechnung zieht, noch
eine Dauerheilungsziffer von 50—60 % durch die Operation. L#egt der Krebs jedoch
versteckt in den inneren Organen, macht er erst spät Erscheinungen, so sind die Resultate
der Operation weit schlechter. Auch hier bestehen charakteristische Unterschiede: so ist
das Magenkarzinom fast nur operabel und wird fast nur dann durch die Operation dauernd
beseitigt, wenn es am Magenausgang seinen Sitz an, weil es hier frühzeitig zu einer
Verengerung und damit zu schweren Passagestörungen führt; sitzt es am Magenkörper,
so bleiben diese Somptome lange aus, und der Krebs tritt llinisch erst zutage, wenn eine
Operation nicht mehr ausführbar ist. Aber auch das am Magenausgang sitzende Karzi-
nom macht sich doch im Vergleiche mit einem Haut- oder Lippenkrebs erst sehr spät be-
merkbar: der Magenkrebs, den wir noch als gut operierbar bezeichnen, ist meist unendlich
viel größer als ein Lippenkarzinom, das schon für recht vorgeschritten gilt.
Abgesehen von dem mehr oder weniger verborgenen Sitze bestehen aber noch andere
Unterschiedee im Charakter des Krebses, welche die Aussichten des operativen Eingriffes
in sehr verschiedenem Lichte erscheinen lassen. So gehört das Zungenkarzinom zu den
furchtbarsten Erscheinungen der Krebskrankheit überhaupt, obwohl es meist frühzeitig
bemerkt wird; der außerordentliche Reichtum der Zunge an Lymphgefäßen, der kom-
plizierte Muskelapparat des Organs, der die Krebskeime in die abführenden Lpymph-
bahnen geradezu hineinmassiert, bedingt hier die besondere Bögartigkeit. Auf der an-
deren Seite wächst z. B. der Speiseröhrenkrebs nur langsam, verursacht auch frühzeitig
bedrohliche Symptome, und doch ist er die ungünstigste Krebsform, weil die Speiseröhre
zu den operativ unzugänglichsten Organen gehört.
Auch an ein und demselben Organe bestehen große Unterschiede in der Bösartigkeit
des Karzinoms. Ze zellreicher, desto maligner ist der Krebs. Während von den zellarmen
Bruftkrebsen, den sogenannten Skirrhen, ein großer Prozentsatz durch die Operation
endgültig geheilt wird, ist jeder Fall des besonders zellreichen sogenannten Markschwammes
der Brustdrüse, wie er namentlich im jugendlichen Alter beobachtet wird, als verloren zu
betrachten. Uberhaupt tritt ja der echte Krebs, das Karzinom — nicht nur das Sarkom —
viel häufiger in verhältnismäßig jungen Jahren auf, als meist angenommen wird. Darm-
und besonders Mastdarmkrebse sehen wir schon im zweiten Dezennium, Brust- und Magen-
karzinome sind in den dreißiger und vierziger Jahren kaum seltener als im späteren Le-
bensalter. Es handelt sich hier nicht um eine Erscheinung, welche mit der keineswegs
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