X. Buch. VI. Städtebau. 387
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Uberschuß der Verringerung der Mieten oder der Herstellung von allgemeinen Wohl-
fabrtseinrichtungen zugute kommt. Es haben sich auch noch andere Nechtsformen aus-
gebildet, um mit Gemeindeland die Wohnungsfrage zu fördern, nämlich Verkauf mit
Wiederkaufsrecht, Abgabe als Rentengut, Verpachtung besonders bei sog. Schreber-
oder Familiengärten, Bestellung von Erbbaurecht.
Zu den vorstehenden Maßregeln der Bodenpolitik haben sich die Staatsverwal-
tungen bisher selten verstanden, sondern in der Regel den fiskalischen und spekulativen
Standpunkt eingehalten, z. B. Waldungen bei Berlin, Tempelhofer Feld, Harbtwald bei
Karlsruhe. Schöner hat sich der Staat auf einem anderen Wege der Wohnungereform
beteiligt, nämlich durch den ausgedehnten Bau von Dienstwohnungen für Arbeiter
und niedere Beamte, beim Reich hauptsächlich im Bereich der Poft, bei den Einzelstaaten
im Eisenbahnbetrieb und Bergbau, bei den Gemeinden in allerlei Dienstzweigen. Ferner
haben viele Gemeinden, um der Wohnungsnot abzuhelfen, Wohnungen zum allgemei-
nen Gebrauch gebaut. Die Hergabe an einzelne ist dann zuweilen durch Verkauf zu
freiem Eigentum erfolgt, hat sich aber nicht bewährt (Mülhausen), oder es wurde mit
Wiederkaufsrecht verkauft (Ulmer Soystem), oder endlich die Häuser wurden vermietet
unter angemessener Sicherheit gegen Mietsteigerung und Kündigung (Freiburg).
Ein weiteres Mittel zur Beschaffung von Wohnungen besteht in der Unterstützung
von Baugesellschaften. Derartige Unternehmungen haben sich in den letzten Jahr--
zehnten zahlreich aufgetan, jetzt bestehen über 1200 mit einer Leistung von ca. 15 000 Häu-
sern. Ee sind hierbei die Pflichten der Genossen gegen die von der Gemeinde gewährten
Vorteile sorgfältig abzuwägen. Erstere können sich beziehen auf die Beschaffenheit der
Häuser und auf die Formen der Vermietung, letztere auf billige Hergabe von Gemeinde-
land, Verminderung der Gebühren für Straßenbau, Wasser, Elektrizität, auf die Her-
leihung von Baugeldern zu günstigen Bedingungen, auf die Ubernahme von Geschäfts-
anteilen.
An dieser Stelle sei auch den Gartenstädten ein kurzes Wort gewidmet. Diese
planmäßigen Ansiedlungen auf billigem Gelände, welches im Obereigentum der Gesell-
schaft bleibt, in Kleinhäusern mit Gärten, welche die außerberufliche Arbeitskraft einer
Familie verwerten, schaffen billige Wohnungen und gesunde Haseinsbedingungen. Es
ist das Verdienst der 1902 gegründeten deutschen Gartenstadtgesellschaft, dazu vielerorts
auf zweckmäßiger wirtschaftlicher Grundlage angeregt zu haben. Die Gartenstädte er-
geben nicht nur ein gutes Stück Wohnungereform, sondern auch ein erfreuliches soziales
Gebilde, ein Gemeinschaftsleben zwischen verschiedenen Klassen, wie es durch die Zu-
sammendrängung in Mietkasernen niemals entsteht.
Bis jetzt hat die Tätigkeit von Baugenossenschaften und Gartenstadtgesellschaften
nur für etwa 1½/% des Wohnungsbedarfs der wachsenden Bevölkerung ausgereicht.
Wertvoll aber bleibt die Rückwirkung auf die sonstigen, vom privaten Baugewerbe her-
gestellten Wohnungen in Güte und Preis. In diesem Sinne ist auch die öfter getadelte
Schädigung des Baugewerbes durch Konkurrenz der gemeinnützigen Bautätigkeit nicht
zu fürchten. Solange im Wohnungswesen noch so furchtbare Notstände bestehen, ist nach
der heute vorherrschenden Uberzeugung das Eingreifen von Reich, Staat und Gemeinde
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