Full text: Deutschland unter Kaiser Wilhelm II. Vierter Band. (4)

  
X. Buch. Astronomie, Astrophysil, Geodãasie. 123 
Himmelepoles am Sternhimmel, durch welche sich natürlich scheinbare Ortsverände- 
rungen aller Sterne, bezogen auf diesen sogenannten Fixpunkt, ergeben, haben wir 
indessen keine hinreichend genaue Kenntnis der für jene Bewegung der Erdachse maß- 
gebenden Massenverteilung im ganzen Erdkörper und sind daher darauf angewiesen, 
aus der Gesamtheit der Ortsveränderungen der Sterne gegen die sogenannten Fixpunkte 
zugleich die genaueste Kenntnis der Ortsveränderungen auch dieser letzteren zu entneh- 
men. Natürlich kann dies desto sicherer geschehen, je deutlicher und vollständiger wir aus 
der Gesamtheit der Ortsveränderungen der Sterne an der Himmelsfläche 
die Wirkungen der Bewegungen der Fixpunkte von denjenigen Ortsveränderungen zu 
sondern vermögen, welche durch unsere eigenen Ortsveränderungen im Raume und 
durch die wirklichen Bewegungen der Sterne selber hervorgerufen werden. 
Von unsern eigenen Ortsveränderungen kommen dabei, abgesehen von den 
veränderlichen Strahlenbrechungswirkungen der Atmosphäre, zunächst die jährlichen 
Bewegungen in Frage, in Gestalt der sogenannten jährlichen Parallaxen, deren geson- 
derte Ermittlungen aber durch die Kenntnis dieser jährlichen Periode und der Gestalt 
der Erdbahn in Betracht der sehr geringen Winkelbeträge, unter denen diese Bewegungen 
infolge der großen Entfernungen der Sterne erscheinen, soweit gesichert sind, daß wir 
ihre oberen Grenzen mit einiger Wahrscheinlichkeit angeben können, und die wirklichen 
Werte für einige Zehner von Sternen zweifellos kennen. Diese jährlichen Parallaxen 
ergeben uns ja die Entfernungen dieser Sterne im Verhältnis zu den Dimensionen der 
jährlichen Erdbahn. Der gegenwärtige Abstand keines der uns bisher bekannten Fix- 
sterne beträgt weniger als das Hunderttausendfache des Durchmessers dieser unserer 
Bahn. Aun hatte es sich aber aus den Ortsveränderungen mehrerer Tausend Sterne, 
von denen seit der Mitte des Jahrhunderts 17 gesicherte Messungen vorlagen, bereits 
ergeben, daß zweifellos auch unsere Sonne und mit ihr unser ganzes Planeten- 
sostem ähnliche fortschreitende Ortsveränderungen im Weltraum erfährt, wie 
die Sterne, die wir überwiegend als ferne Sonnen betrachten dürfen. Ourch diese unsere 
eigenen fortschreitenden Ortsveränderungen im Weltraume muß nämlich die Erscheinung 
erzeugt werden, daß in derjenigen Gegend der Himmelefläche, welcher wir uns nähern, 
die Sternenwelt sich durch das Auseinandertreten der Sterne zu öffnen scheint, während 
an der entgegengesetzten Stelle der Himmelsfläche die Sterne zusammenzurücken schei- 
nen. Ee ist aber klar, daß diese Wirkungen unserer Bewegung, nämlich die sogenannten 
säkularen Parallazxen, zwar nicht in ihrer Richtung, aber in ihrer Größe durch die Ver- 
schiedenheiten der Lage der Sterne zu unserer säkularen Bahn beeinflußt werden. Zu- 
gleich aber werden die wirklichen Ortsveränderungen in der Sternenwelt, und zwar nicht 
sowohl die, immerhin begrenzten, periodischen, als vielmehr die fortschreitenden, das 
ganze Erscheinungsgebiet der durch unsere fortschreitende Bewegung verursachten 
säkularen Parallaxen in erheblichstem Grade komplizieren können, zumal dann, wenn 
in der Sternenwelt größere Gruppen von gesetzmäßig untereinander verwandten Orts- 
veränderungen im Gange sind, deren Fernwirkungen für uns das einfache Gesetz der 
säkularen Wirkungen unserer eigenen fortschreitenden Bewegung verhüllen oder über- 
wallen können. 
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