78 Deutsche Musik. XI. Buch.
Denn Wagners Gewandung wollte anderen nicht passen. Eine Reihe von Ton-
setzern, die besinmungslos Wagners Tonsprache nachahmten, kann hier außer Betracht
bleiben, da ihre Erzeugnisse ohne Lebenskraft schnell dahingestorben sind. Andere freilich
suchten Wagner im Geist nachzufolgen, und unter ihnen finden sich Künstler von beach-
tenswerter Eigenart, wie Mazx Schillings, Hans Pfitzner, Engelbert Humperdinck,
Ludwig Thuille und Richard Strauß, der aber wieder eine Sonderstellung einmimmt.
M. Schillings. Was allen Opern dieser Komponisten das Gepräge gibt, ist der Um-
stand, daß das Orchester den Singstimmen nicht nur ebenbürtig zur
Seite steht, sondern daß es ihnen vorgezogen wird: es ist geradeso wie bei Wagner, Haupt-
ausdrucksorgan geworden, es kommentiert alles, was auf der Bühne geschieht und was von
den handelnden Personen gesungen wird, in seiner Weise, durchleuchtet es, verbindet ent-
fernt liegende Ereignisse und wird so zum eigentlichen Fundament des ganzen Dramas. Die
„Ingwelde“ (1894) von Maz Schillings zeigt diese Eigenschaften in besonders hohem
Grade, ja bisweilen ist das Orchestergewebe so dicht, daß es die Stimmen der Sänger allzu
fest umschlingt und zu ersticken droht. Aber das Stück hat Charakter. Die vom Grafen Fer-
dinand Sporck verfaßte Dichtung spielt in germanischer Vorzeit; sie bietet nicht recht
deutlich gezeichnete Charaktere, und eine Handlung, die reichlich kompliziert ist. Das
bedeutet in der Oper schon einen Nachteil, denn weil das Wort innerhalb der Musik
selten ganz deutlich zu verstehen ist, müssen die Grundlinien des Dramas so einfach sein,
daß das Ganze beinahe schon als Pantomime verständlich wird. Mehr als der Oichter
charakterisiert der Musiker, dessen Erfindung zwar nicht sehr vollblütig ist, dessen
ernste Gestaltung und Stilreinheit jedoch imponieren. Einmal, am Schluß des zweiten
Aktes, wo Bran das Beil zur Kache für Klaufes Tod schleift, reckt sich Schillings sogar
zu Überraschender Kraft und Größe auf. Noch zwei weitere dramatische Werke ver-
danken wir ihm: den „Pfeifertag“ (1899), wiederum vom Grafen Sporck, und den
„Moloch“, den Emil Gerhäuser nach Hebels Fragment verfolgt hatte. Das wesent-
lichere ist der Pfeifertag, zumal es Schillings von einer neuen Seite zeigt, als Humoristen,
dem freilich die Heiterkeit etwas fremd zu Gesicht steht. Zwei Handlungen sind bier
durcheinander geschoben: eine etwas possenhaft gewendete Liebesintrige und die Kämpfe
der „Zungen" gegen die „Alten“ in der Pfeiferzunft, die dem Spiel den kulturhistorisch
sozialen Hintergrund geben. Auch hier ist Schillings über seinen Dichter hinwegge-
schritten. Seine Musik ist gefühlsmäßiger, tiefer und edler als der ziemlich grob zu-
geschnittene Stoff, aber sie hat, trotz des rauschenden Orchestergewandes, ziemlich zarte
Linien. So viel Bedeutendes und Reizvolles der Musiker und der Teil des Publikums,
der gewohnt ist, nach innen zu hören, in ihr findet, so wenig stark ist ihre Wirkung auf
die größere Masse, und das liegt im letzten Grunde doch wohl daran, daß die Natur
des Komponisten sich dem Tragischen und dem Ernst williger erschließt als dieser etwas
gezwungenen Lustigkeit.
9 Pfitzner. Hans Pfitzner erregte 1895 berechtigtes Aufsehen mit seinem Musik-
drama „Der arme Heinrich“ (James Grun). Die Farben erscheinen
1610