80 Deutsche Musik. XlI. Buch.
getan hat, ist mehr als die glückliche Auswahl der Volkslieder. Er sieht den ganzen Stoff
mit den Augen des musikalischen Dichters an und behandelt ihn demgemäß, so daß wirk-
licher Märchenduft über der Oper liegt. Das Orchester ist sehr polpphon behandelt,
es lebt und webt von motivischem Wesen, aber alles ist doch Aar und leicht faßlich: die
Polpphonie tritt hier in ihrer größten Volkstümlichkeit auf und das Volkstümliche in
seiner höchsten Verfeinerung. Manchmal gewinnt der Instrumentalpart wohl zu sehr
die Oberhand und ist zu dick, wie in der Ouvertüre, die nicht recht zu dem anspruchs-
losen Märchenspiel passen will und besonders in dem langen Nachspiel hinter dem Abend-
gebet der Kinder, wo alle Schrecken der Blechbläser erbarmungslos auf den Zuhörer
eindringen und das zarte Bild förmlich aus dem Nahmen brechen. Als Höhepunkt des
Werkes ist mir immer die Waldszene vorher erschienen: die verirrten Kinder spielen
erst sorglos und spotten dem Kuckuck nach, aber allmählich erfaßt sie die Angst und das
Grauen vor der Einsamkeit. Hier ist die Naturstimmung mit wirklicher poetischer Kraft
aufgefaßt und musikalisch verdichtet; es strömt wie ein Hauch von Waldesfrische und
Wiesenduft aus den Tönen und legt sich dem Hörer lind um Herz und Sinne.
Von einigen Kleinigkeiten, die Humperdinck nach diesem Erstling unter seinen Opern
schrieb, kann abgesehen werden, auch von seiner „Heirat wider Willen“, die viele reiz-
volle und feine Einzelheiten enthält, als ganzes aber keine große Wirkung ausgeübt hat,
erst die „Königskinder“ (von Ernst Rosmer) verdienen wieder eine nähere Betrachtung.
Ursprünglich war das Stück ein gesprochenes Drama mit eingestreuten melodramatischen
Stellen und Musikstücken (1898), das der Komponist 1908 zu einer Oper umgearbeitet
hat. Die Oichtung schlage ich nicht hoch an: sie ist ein Märchen, aber kein naives wie
„Hänsel und Gretel“, sondern ein gebildetes, ein literarisches, und mit allerlei Anspie-
lungen, Symbolen und Tiefsinnigkeiten durchsetzt, denen man aber doch nicht so recht
auf den Grund zu kommen vermag. Um so mehr Werte birgt die Musik. Das Orchester
Uingt wundervoll, es strotzt von Melodie, und aus dem höchst durchsichtigen Ganzen lösen
sich oft einzelne Instrumente heraus, die irgendeine Szene wie mit farbigen Seidenfäden
charakteristisch umspinnen. Will man Humperdincks Schaffen im allgemeinen kennzeichnen,
so könnte man sagen, daß Liebenswürdigkeit sein hervorstechendster Zug sei, wobei man
nur nicht die landläufige Bedeutung dieses Wortes sich vorstellen, sondern an Eigenschaften
denken muß, die einen stillen, in sich gekehrten Künstler würdig machen, geliebt zu werden.
L. Thuille. Eine Höchst reizvolle Oper, die gleichfalls einen Märchenstoff behandelt,
— tritt uns in Ludwig Thuilles „Lobetanz“ entgegen (1898). Der leider
sehr jung gestorbene hochbegabte Komponist hat ihm noch ein zweites Werk „Gugeline“
(1901) folgen lassen, das indessen die Vorzüge seines ersten nicht erreicht. „Lobetanz“
ist die Geschichte von der Prinzessin, die durch das süße Spiel eines Geigers vor Sehn-
sucht erkrankt und an demselben Spiel vor Liebe wieder gesundet, eine Geschichte, die
Otto Fulius Bierbaum leider in sehr gezierter Sprache und in etwas füßlicher Manier
vorträgt. Der Musiker aber hat auf dieser Textgrundlage ein Meisterstücklein errichtet.
Sein Ausdruck ist sehr gewählt, etwas gedämpft, die Arbeit überaus subtil, die Melodie--
erfindung wie der Wuchs des Ganzen mehr schmächtig als kraftvoll. Eine Szene aber ist
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