18 Das öffentliche Leben. XII. Buch.
Daß der Presse nach wie vor gewisse Schranken gezogen sind, einerseits der ein-
zelne nicht von ihr verleumdet und beleidigt und andererseits das Volk im ganzen oder
einzelne Klassen desselben nicht zu Gewalttätigkeit irgendwelcher Art aufgehetzt werden
darf, versteht sich von selbst. Auch Bestimmungen gegen den Verrat wichtiger, nament-
lich militärischer Landesgeheimnisse dürfen nicht fehlen. Rur soll das alles nicht zu
kautschukartig und dehnbar sein und so die Presse nicht unter dem Druck und der Angst
vor dem Damoklesschwert stehen müssen, das jeden Augenblick auf sie niedersausen kann.
Aber eben aus der weitgehenden Freiheit, die ihr gewährt worden ist und ihren gewaltigen
Aufschwung erst möglich gemacht und herbeigeführt hat, sind ihr auch neue und beson-
dere große und schwere Pflichten erwachsen; denn je größer die Freiheit, desto leichter,
aber auch desto gefährlicher der Mißbrauch und das Auswachsen der Freiheit zur Schran-
kenlosigkeit und zur Zuchtlosigkeit. Der Oienst der Freiheit ist ein schwerer Dienst, sagt
Uhland mit Recht. '
Noch auf eine Gefahr ganz anderer Art sei hier hingewiesen, die auch öffentliches
Interesse hat — auf die Verderbnis unserer Sprache und unseres Stils durch das Zeitungs-
deutsch. Daß ein guter Journalist einen guten, ein großer Feuilletonist sogar einen glän-
zenden Stil schreiben soll und daß viele unserer Journalisten darin ganz Vortreffliches
leisten, wissen wir alle. Aber auf der anderen Seite macht die Notwendigkeit, rasch zu
produzieren und zu jeder Stunde des Tages und der Nacht, in Stimmung oder Nicht-
stimmung zu schreiben, um die Spalten des Blattes täglich auf die Stunde zu füllen
und dem Publikum das gestern und heute Geschehene wie frische Semmeln zum Früh-
stück auf den Tisch zu legen, den Stil vielfach doch recht hastig und schluderig. Billig
Denkende werden dem FJournalisten daraus keinen ernstlichen Vorwurf machen. Allein die
üble Wirkung ist da; und wenn das Gerichtesdeutsch und das Kaufmannsdeutsch und das
schwerfällige Gelehrtendeutsch vielleicht nach einer andern Richtung bin, aber immer doch
mit dem Zeitungsdeutsch zusammen am deutschen Stil und an deutscher Sprachkunst
sich versündigen, so werden wir uns nicht wundern können, wenn gelegentlich über den
Verderb von Stil und Sprache durch die Zeitung geklagt wird, sondern eher darüber,
daß die bösen Beispiele die guten Sitten nicht noch weit mehr verderben.
Neben der Tagespresse, vonder hier die Kede war, stehen
natürlich zu gleichen Rechten auch Wochenschrift und Zeit-
schrift, Flugblatt und Flugschrift, und steht in gewissem Sinn unsere ganze Lite-
ratur, soweit sie keine ausgesprochen fachliche ist. Zur Zeit Schillers gab es noch
keine Presse, jedenfalls keine politische und keine freie, und gab es noch keine
Rednerbühne in Volksversammlung oder Parlament, auf der der Politiker und
Patriot seine Gedanken aussprechen und mit lauter Stimme in die Welt hineinrufen
konnte. Da hat Schiller in Deutschland als erster — etwa den einzigen Lessing
ausgenommen — die Schaubühne zum Tribunal und Organ der öffentlichen Meinung
gemacht und in den Dienst des öffentlichen Lebens gestellt. Wie politische Anklage-
schriften und demosthenische Reden hören sich die Räuber oder Kabale und Liebe
und Don Carlos an; nicht vagen Tyrannenhaß oder unklare kosmopolitische Sdeale hat
Unsere ganze Literatur.
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