XII. Buch. Das öffentliche Leben. 43
ständigkeit bringen lassen will, der muß alle Kraft aufbieten, um als einzelner zu bleiben
und immer mehr zu werden, der er ist, eine Persönlichkeit, die sich neben dem All-
gemeinen noch einige Sonderrechte vorbehält. Aur der Starke kann sich heutzutage
ihm gegenüber behaupten und durchsetzen und sich aus der NRolle eines bloßen Atoms und
Massenteilchens zur eigenen inneren und äußeren Selbständigkeit und zur Führerschaft
über andere durch- und emporringen. Denn immer noch gilt auch im Zeitalter der
Demokratie und des Staatssozialismus für Volk und Knecht und Uberwinder das
Goethewort:
Höchstes Glück der Erdenkinder
Sei nur die Persönlichkeit,
und der Goethbetrost:
Alles könne man verlieren,
Wenn man bliebe, was man ist.
Darum ist es die große Gunst der Stunde, daß der, dessen Name an der Spitze dieses
Werkes steht, daß Kaiser Wilhelm ll., in dem sich als in der sichtbar monarchischen
Spitze die Macht des öffentlichen Lebens unserer Nation verkörpert, zugleich eine so
ausgesprochene Persönlichkeit mit stark ausgeprägten Eigenzügen ist. Als solcher be-
schäftigt der in den Mittelpunkt deutschen Lebens gestellte Fürst das Ausland aufs leb-
hafteste; für unser Volk aber, in dem das Monarchische so festgewurzelt ist, ist dieses ganz
Persönliche wertvoll als Vorbild und Symbol zugleich. Wenn jeder, der im öffent-
lichen Leben steht und davon absorbiert zu werden fürchtet, in dieser entschiedenen Weise
an dem Reservatrecht seiner Persönlichkeit festhält und sich nicht scheut, gelegentlich ein-
mal auch seinen Kopf und sein Herz, seine Uberzeugung und seinen Willen gegen die
Allgemeinheit und ihre Organe oben und unten zu riskieren und zu behaupten, dann
und nur dann kommen wir zu der gesuchten Sonthese von Sozialismus und Individua-
lismus, die wir für unser öffentliches Leben als den Weg zum sozialen Frieden und als
Mittel zur Gewinnung von Führern für die Massen so notwendig brauchen. Das öffentliche
Leben mit Persönlichkeit erfüllen, was wir als Organe der Offentlichkeit zu tun und zu
leisten haben, mit eigenem Geist und eigenen Gedanken, mit Herz und mit Charakter
treiben, das bewahrt vor Mechanismus und Schablone und macht das öffentliche Leben
erst zu einem Lebendigen und zu einem Reichen. Aur das wahrhaft Lebendige aber ist
wert gelebt zu werden. Wir Deutsche sind nach langem Schlaf und schweren Träumen
seit fünfzig Fahren zum Leben erwacht, alles um uns, unter uns und in uns ist lebendig
geworden und atmet Leben: darum ist „Leben“ das Losungswort der Zeit, Lust am Leben
und Wille zum Leben ihr innerster Nerv und ihre höchste Kraft.
Mit diesem Willen gehen wir aus einer reichen und bewegten Gegenwart getrost
und mutig der Zukunft entgegen, als die da leben und wissen, daß das Lebendige fertig
werden kann mit dem, was krank ist unter uns, und das Starke fertig werden kann mit
dem, was Gefahr droht außer uns, gehen ihr entgegen mit dem sieghaften Ruf:
Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?
1693