Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

vor Aristoteles und Platon. 123 
auf sie anzuwenden. Es ist eine Scheidung beider, ein Zustand 
in welchem die reine Theorie nicht mit der vorliegend prakti- 
schen Aufgabe sich verständigte und in dem Geiste des Denkers 
sich zu einem untheilbaren Ganzen verschmölze, nur bei denjenigen 
Arbeiten denkbar, welche eben weder Werth noch Einfluss haben; 
es ist andrerseits das Maass des Werthes und des Einflusses 
solcher Arbeiten gegeben in dem Maasse, in welchem die reine 
Theorie sich mit dem Positiven verbunden hat. Jeder grosse 
Staatsphilosoph daher ist nothwendig — nicht weil er will 
oder äusserlich muss, sondern weil die innere Natur der Dinge 
es fordert, mit seiner Theorie und Staatsanschauung nur der 
höchste wissenschaflliche Ausdruck seiner Zeit, und ‚der 
Hauptfragen welche in seiner Zeil die Gemüther bewegen. 
Und daraus ergeben sich eine Reihe von Folgesätzen, von denen 
wir, weil sie allgemein gültig sind, die wichtigsten hier mit auf- 
führen wollen. Ihre Anwendung auf die beiden Häupter der 
griechischen Staatskunst wird sich sogleich ergeben. 
Es folgt zuerst, dass keine Staatstheorie oder Gesellschafls- 
iheorie Verhältnisse und Fragen in sich verarbeiten kann, die 
nicht entweder für sie wirklich vorhanden, oder doch vorhanden 
gewesen sind. Die Wissenschaft ist nicht eine schöpferische 
Kraft für die Verhältnisse und: Ordnungen der Dinge; was sie 
erschafft, das ist das herrschende Bewusstsein über das Gegenwär- 
tige. Auch die grössten Staatskundigen haben in dieser Beziehung 
nie über ihre Zeit hinausgesehen; und es hat daher seinen 
guten Grund, wenn Aristoteles, wie das schon Montesquieu be- 
merkte !), weder das Königthum noch den Adel kannte, und wenn 
er eben so wenig im Stande war, sich eine Vorstellung von einer 
Vertretung des Volkes zu bilden, so nahe er auch zuweilen an 
diesen Punkt herankommt ?). Eben so wenig ahnt Montesquieu 
seinerseits das Dasein eines sogenannten vierten Standes; andere 
Beispiele liessen sich leicht anführen. Platon ward schon von 
seinen eigenen Zeitgenossen nachgesagt, er habe seine Republik 
„ 1) Esprit des Lois XI. 8. Les anciens ne connaissaient point le gouverne- 
ment fonde sur un corps de noblesse, et encore moins le gouvernement 
fonde sur un corps legislatif, forme par la representation d’une nation. cet. 
2) Vergl. z. B. IV. 4. u. 5.
	        
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