Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

138 Die staatswissenschaftliche Theorie der Griechen 
selben Grade schwieriger werden muss, in welchem das Bürger- 
thum mit der Souverainetät identisch wird, oder wie wir sagen 
würden, in welchem die Gesellschaft die Staatsgewalt in ihre 
Hände bekommt. In der That nämlich gibt es zwischen „Bürgern“ 
und Staatsangehörigen nur Einen wesentlichen und durchgreifenden 
Unterschied: das ist die selbstthätige Theilnahme an der Gesetz- 
gebung. Es war nun in Griechenland zwar keineswegs schwierig, 
im einzelnen Fall nach der gegebenen Verfassung zu bestimmen, 
wer Bürger war '); allein die eigentliche Frage war vielmehr 
die, wer Bürger sein musste. Und hier nun treten die beiden 
Grundbestände des griechischen Lebens in schneidenden Wider- 
spruch. 
In allen Staaten Griechenlands , wo überhaupt sich das ge- 
werbliche Leben entwickelt hatte, war der Uebergang von einer 
ackerbauenden Lebensweise zu einer gewerblichen ein sehr rascher 
gewesen, anders als in den germanischen Ländern, wo die lang- 
same Entwicklung dieser Gesellschaftsordnung zwar vieles Gute 
langsamer, aber dafür auch das Hauptübel, an dem Griechenland 
krankte, gar nicht hat entstehen lassen. Die Folge davon war, 
dass derjenige Begriff des Staatsbürgerthums, der nur einer auf 
dem Grundbesitz ausschliesslich beruhenden Gesellschaftsordnung 
entspricht, in die Zeit mit hinüber genommen und ihr zum Grunde 
gelegt ward, in welcher doch schon das gewerbliche Capital zur 
vollen Gleichheit mit dem Grundbesitz gelangt war. Nun aber 
ist es nicht schwer zu sagen, welches der Begriff der Vollbürger 
ist, der der ländlichen, freien Gesellschaftsordnung entspricht. 
Hier hat nur derjenige eine volle gesellschaftliche Persönlichkeit, 
der Grundbesitz genug hat, um nicht für andere in ihrem 
(gewerblichen) Auftrage arbeiten zu müssen. Oder, wenn wir 
hier mit wenigen Worten den liefern Inhalt der Sache andeuten 
1) Merkwürdig genug beziehen sich unseres Wissens alle Untersuchungen 
über die griechischen Alterthümer, und selbst der so reiche Hermann, nur 
auf Athen und Sparta. Und doch würden die Angaben über Korinth mit 
seinen grossen Capitalien und ihrer Herrschaft, über Arkadien mit seinen 
freien Hufenbesitzern, und über Theben mit seinen Grundherren und ge- 
drückten Hintersassen für eine Reihe der wichtigsten Fragen ebenso interes- 
sant als entscheidend sein, anderer nicht zu gedenken.
	        
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