über Armenpflege und Heimathsrecht. 327
zu hindern. Der Mutter, die ihren Liebling andern Händen über-
lassen muss, um Brod für ihn verdienen zu können, wird man
vergebens vorstellen, dass eine unzeitige Ehe Ursache ihrer Pein
sei. Sie wird sich dennoch verletzt fühlen, dem grollen, der sie
beschäftigt, den hassen, welchem sie ihre Kinder ungern über-
lässt, während diese wohl noch des Glaubens sind, ihr eine
Wohlthat zu erweisen.
Die Gesellschaft, die solche Verhältnisse entstehen lässt,
ohne -durch die kräfligsten Anstalten zu ihrer Aenderung zu be-
weisen, dass sie die Schuld derselben von sich abzulehnen be-
rechligt sei, welche sie selbst mit einer gewissen Gleichgiltigkeit
betrachtet, ohne auch nur zu warnen, wird unfehlbar zu ihrem
Schrecken inne werden, wie die reine Muttermilch in gährendes
Drachengift verwandelt werden kann. Es ist gar nicht zu be-
zweifeln, dass die Gesellschaft nicht nur das Recht, sondern die
heilige Pflicht hat, so viel an ihr ist, zu verhüten, dass Fa-
milien gegründet werden, wo die Bedingungen eines wohlthätigen
Familienlebens fehlen.
Die Frage kann nur entstehen über die Wahl der anzu-
wendenden Mittel; ob es an sich statthaft sei und zum Ziele führe,
die Schliessung von Ehen unmiltelbar an die Genehmigung der
‚Gemeinden, oder vielmehr an die Erfüllung gewisser Bedingungen
unter Aufsicht der Gemeinde zu knüpfen.
Wir tragen kein Bedenken, diese Frage mindestens für un-
sere Zustände zu bejahen. Zunächst erinnern wir daran, dass
dieses Recht den Familienhäuptern in Beziehung auf ihre Ange-
hörigen doch unbedenklich eingeräumt wird. Auch nimmt Nie-
mand einen Anstoss daran, dass der Staat bei seinen Beamten
sich das Recht der Genehmigung vorbehält, theils weil er die
moralische Pflicht anerkennt, die Wittwen und Waisen derselben
nicht hilflos dem Efende auszusetzen, theils weil er sich ver-
sichern will, dass die Gründung einer Familie den Beamten nicht
in der Erfüllung seiner Pflichten behindern werde.
Wir machen darauf aufmerksam, dass in den höheren und
wohlhabenderen Ständen die Sitte meistens stark und entwickelt
genug, der Einfluss des Familiengeistes mächtig genug ist, um
die Schliessung zu frühzeitiger und leichtsinniger Ehen zu ver-
Zeitschr. für Staatsw. 1853. 3s Heft. 22