Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

über Armenpflege und Heimathsrecht. 355 
an die Gemeinde, wie an die Unterstützungskassen durch unsitt- 
liche Handlungen verloren gehen sollen, so werden unzweifel- 
haft sehr viele Fälle vorkommen, in welchen der Nothleidende 
auf Grund der Staatsgeseize gegen Niemand eine Forderung 
geltend machen kann. Indess ist es eben eine Hauptaufgabe un- 
serer Erörterungen, nachzuweisen, dass der Mildthätigkeit 
ihre eigenthümliche und berechtigte Stellung neben der 
mit Nutzen sich stets nur auf engem Felde bewegenden Gesetz- 
gebung eingeräumt und angewiesen werden muss. Jetzt dient 
die Wohlthätigkeit vielfach nur dazu, um saumselige Gemeinde- 
beamte wegen der Vernachlässigung ihrer Pflichten zu beruhigen, 
eifrige in der Erfüllung derselben zu stören, und überhaupt die 
Einhaltung von Grundsätzen zu erschweren. Auch der Privat- 
mann ist nun, je mehr ihm die Sache am Herzen liegt, um so 
zweifelhafter, auf welchem Wege er seinem Wohlthätigkeitsdrange 
zu genügen habe: ob er seine Gaben der Armenkasse übergeben 
oder vielmehr selbst die Armen besuchen solle? 
Der Staat muss aufhören, Versprechungen zu geben, die er 
nicht halten kann, und den Gemeinden Pflichten aufzuerlegen, 
deren gewissenhafte und vollständige Erfüllung mit Nachdruck 
zu verlangen er zuletzt selbst nicht ohne Grund sich scheut. 
Die Aufforderung zu Handlungen der Wohlthätigkeit und 
die Leitung derselben muss der Staat der Kirche überlassen; 
in ihre Hände hat er eine Aufgabe zurückzugeben, zu deren 
Lösung ihm die Mittel und Kräfte abgehen. 
Untersuchungen, wie die Kirche diese Aufgabe ihrerseits zu 
behandeln habe, liegen ausserhalb der Grenzen, welche diesen 
Betrachtungen gesteckt sind. Wir erlauben uns daher‘ über 
diesen Gegenstand nur zwei Bemerkungen. Das eine ist: die 
kirchliche Armenpflege wird nicht dadurch hergestellt, dass Geist- 
liche den Berathungen der städtischen Armendeputationen oder 
anderer weltlicher Armenbehörden beiwohnen. Sie besteht eben- 
sowenig in einer Menge nebeneinander bestehender, nur lose 
oder auch gar nicht zusammenhängender freiwilliger Vereine, 
welche durch Geistliche oder durch andere religiösgesinnte Männer 
ins Leben gerufen und geleitet werden !). Das Vorhandensein 
  
1) Für etwas Anderes als ein Nebeneinanderbestehen freiwilliger, aus
	        
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