über Armenpflege und Heimathsrecht. 561
Untereinanderwohnen, wenig äussern Verkehr, und wichtige gemeinsame
Interessen eng geschlossener Dorfsverband, in dem es auch dem Armen
wohl werden konnte. Er empfing von den Bauern der Reihe nach Be-
köstigung, Wohnung in der Dorfshirtenkathe und zum sonstigen Bedarf ein
Geschenk aus den Weidegeldern der Gemeindekasse; auch durch freie Weide
für einige Stück Vieh, durch Anweisung eines Stückes Kartoffellandes auf
Gemeindegrund u. s. w. wurde mancher vor völliger Verarmung geschützt,
Aehnliche Hilfsquellen gewährte der gutsherrliche Verband dem Ver-
armten. Nachdem aber die Agrargesetze diese alten Verbindungen aufgelöst
und die zahlreiche Klasse der Loosleute geschaffen haben, die bald hierher
bald dorthin ziehen, mit Gutsherren und Gemeinden nicht leicht in nähere
Verhältnisse treten, das Einschreiten der Armenpflege aber viel öfter noth-
wendig machen als früher, hat sich der Charakter und das Bedürfniss der
Armenpflege auf dem Lande völlig verändert. Wer Unterstützungsansprüche
macht, wendet sich damit nothgedrungen alsbald an die königlichen Behör-
den. Er wird über seine heimathlichen Verhältnisse vernommen, ärztlich
untersucht, und sofern sein Antrag danach begründet scheint, der betreffende
Ortsvorstand zur entsprechenden Fürsorge angewiesen. Nun werden von
diesem Einwendungen erhoben, deren Untersuchung oft Monate lang dauert
und während deren bei dem Zustande der Dorfverwaltung eine vorläufige
Unterstützung in der Regel nicht zu erzwingen ist. Bleibt der Gemeinde
endlich kein Ausweg , so dringt sie auf Naturalverpflegung der Reihe nach,
wohl wissend, dass selbst dann, wenn Abbauten die Ausführung nicht völlig
unmöglich machen, die Art, wie eine so erzwungene Armenpflege von
den meisten einmal gewährt wird, auch dem Geduldigsten das Wiederkommen
verleidet. So verkommen auf dem Lande die meisten Armen und ernähren
sich nur durch Bettelei, die sie unverhohlen treiben.
Waisenkinder wachsen beim Viehhüten auf und an Schulunterricht ist
nicht zu denken. Den Behörden fehlt es bei der Grösse der Districte, der
Unzuverlässigkeit und Hartherzigkeit interessirter Ortsvorsteher mit dem
regsten Willen an Organen, um ihre Festsetzungen in volle Wirksamkeit zu
setzen und darin zu erhalten. Mag sich der Arme bei dem Meilen weit
entfernten Rent- oder Landrathamte beschweren. Wohl wird untersucht
und entschieden, aber ehe untersucht ist, und die Entscheidung zur genü-
genden Ausführung kommt, kann der Beschwerdeführer, wenn er sich nicht
selbst hilft, längst verhungert sein. Es macht dabei wenig Unterschied, ob
der Verarmte lange oder kurze Zeit im Dorfe gewohnt. Nach 10 und
20jährigem Aufenthalt von Einwohnerfamilien findet man doch dasselbe
Sträuben der Gemeinde, etwas Genügendes zur Beihilfe zu thun, eben weil
zwischen den Bauern und den Einwohnern, die meist auswärts arbeiten, ein
näheres Verhältniss durch die Nachbarschaft der Wohnung noch gar nicht
begründet und der Bauer überhaupt im Allgemeinen auch hartherzig ist.
Dass schwer erkrankte Personen, deren wenn auch nur vorläufiger Pflege
sich ein Dorf nicht unterziehen will, ausgepackt und oft ganz im Stillen in
24*