Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

566 Völkerrechtliche Lehre 
Erstens, ist es erlaubt, gegenüber von einem Staate,.welcher in 
seiner Beihülfe zum Rechtsschutze nicht so weit geht, als der 
diesseitige Staat für recht hält und zu gehen bereit ist, auch 
einen Theil der sonst, d. h. anderen Staaten, gewährten Mit- 
wirkung zu entziehen? Zum Beispiele also: dürfen gegenüber 
von einem Staate, welcher in seinem Gebiete keine Vorbeugungs- 
mittel zur Bewahrung unseres Rechtes trifft, ebenfalls unerlaubte 
Unternehmungen unserer Angehörigen gegen ihn zugelassen 
werden? oder, würden einem Staate, welcher uns die Auslieferung 
flüchtiger gemeiner Verbrecher verweigert, seine Unterihanen 
gleicher Art ebenfalls vorenthalten ? Zweitens, kann verlangt 
werden, dass gegenüber von einem Staate, welcher eine aus- 
gedehntere Beihülfe leistet, als wir nach unserem Systeme 
für gerechtfertigt erachten, ebenfalls erweiterte Grundsätze be- 
folgt werden? Zum Beispiele: sollen einem Staate, welcher 
seiner Seits politische Flüchtlinge ausliefert, ausnahmsweise seine 
Unterthanen, welche wegen politischer Vergehen zu uns geflüchtet 
sind, auch ausgelieferi werden? — Beide Fragen sind aber so- 
wohl vom Standpunkte des Rechtes, als der Staatsklugheit zu 
beantworten. 
Es ist nicht in Abrede zu ziehen, dass die erste Frage so- 
wohl von der rechtlichen als von der politischen Seite zweifelhaft 
ist. — Stelli man sich nämlich, in ersterer Beziehung, auf den 
Boden des Völkerrechtes, so unterliegt die Berechtigung zur 
Retorsion gar keinem Zweifel. Es steht nach Lehre und Ge- 
wohnheit der europäischen Völker gleichmässig fest, dass ein 
Staat, welchem eine gerechte Forderung versagt wird, gegenüber 
von dem Verletzenden das gleiche Verfahren einhalten darf. 
Anders nun aber, wenn man die Rechtsaufgabe der Staaten an 
sich, somit den eigentlichen Kern der Sache ins Auge fasst. Hier 
nämlich muss man sich erinnern, dass die Mitwirkung zur Rechts- 
ordnung in fremden Staaten nicht diesen zu Liebe, noch 
weniger als Vergeltung eines von ihnen erwiesenen Dienstes 
oder als Folge einer Verabredung anerkannt wird; sondern weil 
der Staat die Pflicht dazu an und: für sich, d. h. in dem Mensch- 
heitszwecke, begründet erachtet. Desshalb hängt denn auch die 
Erfüllung der verschiedenen Auflagen nicht von der mehr oder
	        
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