Full text: Zeitschrift für die gesammte Staatswissenschaft. Neunter Band. Jahrgang 1853. (9)

592 Völkerrechtliche Lehre 
ohne seine eigenen augenblicklichen Zustände und die Zahlen- 
verhältnisse berücksichtigen zu dürfen, zusehen muss, wie jede be- 
liebige Menge und jede Art von Ausländern einwandert, sich 
nach Belieben zusammenrottet oder vertheilt, dieser oder jener 
innern Parthei sich anschliesst oder dient. Höchst wahrschein- 
lich ist, dass eine solche unterschiedslose Aufnahme anderen 
Staaten zu beständigen und zum Theile ganz gerechten Klagen 
Veranlassung giebt, indem sie auf diese Weise in fortwährender 
Besorgniss vor erneuerten Unternehmungen gehalten sind, wohl 
zu beschwerlichen und kosispieligen Sicherungsmaassregeln ge- 
nöthigt werden. Dass aus solchen Missstimmungen aber auch 
für den aufnehmenden Staat früher oder später ungünstige Fol- 
gen sich ergeben, ist wenigstens wahrscheinlich. Möglich, dass 
eine weite geographische Entfernung, ein ausgedehntes Gebiet 
und eine grosse Volkszahl, in welchen sich die fremden Flücht- 
linge vertheilen, diese Nachtheile für den eigenen Staat und für 
Andere mindert; allein die Erfahrung zeigt auch, dass sich die- 
selben im Verhältnisse einer leichten und schnellen Verbindung 
steigern. Günstige Lage und Macht mögen die Mittel geben, 
alle Beschwerden anderer Staaten zu missachten und selbst zu 
verhöhnen; allein hierin kann nur Verblendung und Rohheit ei- 
nen Beweis von höherer Gesittigung und Rechtsachtung erblicken, 
während in der That das Ganze ein Beispiel von unorganischen 
Zuständen und von Verkennung der höheren Rechts- und Mensch- 
heits-Forderungen ist. — Die Frage also: ob die englischen und 
amerikanischen Gewohnheiten sich vertheidigen lassen, muss un- 
bedingt verneint werden. Wenn aber erst kürzlich noch an 
amtlicher Stelle erklärt worden ist, dass kein seiner Sinne mäch- 
tiger englischer Minister wagen würde, dem Parlamente eine 
Aenderung in diesem Rechte vorzuschlagen: so mag immerhin 
ein solches Beispiel von dem Festhalten eines Volkes an dem, was 
es für recht und für freisinnig hält, mit Achtung erfüllen; allein 
ein Beweis, dass dieser Ueberzeugung wirklich eiwas Vernünftiges 
zu Grunde liegt, ist natürlich nicht gegeben. Im Gegentheile hat 
die Wissenschaft um so sicherer die Aufgabe, über die Wahrheit 
aufzuklären, damit sich allmählig die allgemeine Meinung ändere, 
dadurch aber eine Verbesserung des Rechtes möglich werde.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.