180 5. Buch. Die materielle Staatsverwaltung.
Staatsregierung würde die Befriedigung dieser Ansprüche vornehmen
müssen, würde nur dem Landtage hierfür verantwortlich sein, und auch
dies nur moralisch, da eine Ministeranklage in Preußen zurzeit nicht
möglich ist.
Sind Etatsüberschreitungen vorgekommen, ) so ist nach Art 104
Vu. die nachträgliche Genehmigung beider Häuser des Landtages
erforderlich. Es wird jedoch für nicht erforderlich erachtet, daß die
Genehmigung noch in derselben Session eingeholt wird (ogl. Anl.
z. Sten. Ber. d. Abg. H. 1863 S. 1176 f., Schwartz S. 322, a. M.
v. Rönne, Bd. 1 Anm. 6 S. 621). Ferner kann die Vorlage der
Regierung um Genehmigung nebst Rechnung gleichzeitig beiden Häusern,
sogar dem Herrenhaus vor dem Abgeordnetenhaus zugehen, da dies
nur Finanzvorlagen, aber nicht Finanzgesetzentwürfe (Art. 63 Abs. 3
Uu.) sind. (Vgl. Schwartz S. 320 und Arndt, Vu. Anm. 3 zu
Art. 104 S. 335.) Die Genehmigung braucht nicht die Form eines
Gesetzes zu haben, ein einfacher Beschluß genügt. Jedes Haus kann
selbständig und unabhängig von dem anderen die Genehmigung aus-
sprechen. Die Generaldecharge kann erst erteilt werden, nachdem die
Etatsüberschreitung von beiden Häusern genehmigt ist. Erteilen die
Kammern die Genehmigung nicht, so ergeben sich daraus unmittelbare
rechtliche Folgen nicht. Die Verweigerung oder Vorenthaltung der
Decharge durch den Landtag hindert nicht die Dechargierung des
Rechnungsführers durch die Oberrechnungskammer und die Staats-
regierung.
Etatsüberschreitungen im Sinne des Art. 104 sind gemäß § 19
Abs. 1 des Ges. vom 27. März 1872 (GS. S. 278) nur Mehr-
ausgaben, welche gegen die einzelnen Kapitel und Titel des Staats-
haushaltsetats oder gegen die von dem Landtage genehmigten Titel
des Spezialetats stattgefunden haben, es sei denn, daß einzelne Titel
ausdrücklich als übertragbar bezeichnet sind, und bei solchen die Mehr-
ausgaben bei einem Titel durch Minderausgaben bei anderen aus-
geglichen werden.
Kommt der Etat infolge nicht erlangter Zustimmung des Landtages
überhaupt nicht zustande, so darf und muß die Staatsregierung auf
Grund Art. 109 Vl. die bestehenden Steuern und Abgaben fort-
erheben. Dritten gegenüber hat sie auch über die Staatsmittel zu
verfügen, sie hat die Gläubiger des Staates zu befriedigen, Verträge
zu erfüllen, alle Forderungen einzuziehen. Sie leistet diese Ausgaben
ohne Etatsgesetz der Verfassung zuwider und bleibt dem Landtage für
alle Ausgaben verantwortlich. Diese Verantwortung kann der Regierung
nur durch Erteilung der nachgesuchten Indemnität, eines internen
Staatsaktes, abgenommen werden.
Die Rechnungskontrolle erfolgt in der Weise, daß die
Rechnungen über den Staatshaushaltsetat von der Oberrechnungs-
kammer, deren Einrichtung und Befugnisse besonders geregelt sind
1) Literatur: H. Schulze II § 210; v. Rönne § 117 I, S. 616 f.; Arndt, im
Arch. f. öffentl. R. 1888 S. 337.