270 5. Buch. Die materielle Staatsverwaltung.
Die im vorstehenden erörterte Tätigkeit der Polizei, soweit sie die
Unterbringung Obdachloser, die Unterstützung Hilfsbedürftiger, die Be-
kämpfung der Bettelei und Landstreicherei bezweckt, dient gleichzeitig
dem Zweck der vorbeugenden Armenpflege, um einer der Allgemeinheit
zur Last fallenden Verarmung vorzubeugen. In dieser Beziehung
spricht man von der sogenannten Armenpolizei, auf die der Hilfs-
bedürftige allerdings keinen Anspruch hat.
Eine öffentliche Zwangspflicht zugunsten des letzteren auf Erhaltung
und Gewährung eines Existenzminimums beginnt erst bei Vorliegen
eines außerordentlichen Notstandes, der das öffentliche Eingreifen zwecks
Erhaltung und Wiederherstellung der wirtschaftlichen Existenz notwendig
macht. Diese Fälle der Armenpflege sind jetzt für das Deutsche Reich
im Wege der Reichsgesetzgebung einheitlich durch das Ges. über den
Unterstützungswohnsitz geregelt. Vgl. über die Armengesetzgebung des
Deutschen Reichs Bd. 1 8§ 40—51 S. 74 ff. dieses Werkes.
Als ein wichtiger Zweig der Ordnungs= und Sittenpolizei ist die
den Polizeibehörden für Preußen obliegende Üüberwachung von Ver-
einen und Versammlungen anzusehen. Über die Entwicklung
und grundsätzliche Anerkennung des freien Vereins= und Versammlungs-
rechts vgl. § 6 S. 29—31. Hier ist nur im speziellen zu erörtern,
inwieweit die Polizei auf Grund des § 6 des Polizeiges. vom
11. März 1850 (GS. S. 265) und § 10 II, 17 preußischen ALR.,
der Allerh. KO. vom 7. Februar 1837 (GS. S. 6), für die neuen
Provinzen Ges. vom 9. Mai 1892 (GS. S. 107) Vereinen gewisse
Beschränkungen auferlegen kann. Vorausgeschickt mag werden, daß
es für das polizeiliche Einschreiten unerheblich ist, ob die Vereine
unter das Vereinsgesetz fallen oder nicht, auch gegen eingetragene
Genossenschaften und deren Versammlungen ist ein polizeiliches Ein-
schreiten in derselben Weise zulässig wie gegen andere Vereine (OVG.
E. vom 19. Dezember 1895 Bd. 29 S. 447). Die Polizei ist
berechtigt, bei Vereinen, die nicht eine Einwirkung auf öffentliche
Angelegenheiten bezwecken (geschlossene Vereine):
a) die zur Erfüllung ihrer Aufgaben nötige Auskunft über den
Sachverhalt von Personen, denen derselbe bekannt ist, zu verlangen
(OVG. E. Bd. 15 S. 425);
b) strafbare Handlungen bei begründetem Verdacht durch ihr Ein-
Greiten, zu verhüten (8 2, II, 17 AL RK. und OVG. E. Bd. 23
407);
c) alle zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung und
zur Abwendung von Gefahren nötigen Anstalten zu treffen (§ 10 II,
17 A#R. und § 6 des Polizeiges.). Jedoch kann die Polizei ihr
Einschreiten gegen eine Personenmehrheit, weil es lediglich aus dem
Grunde geschieht, weil diese von ihrem Vereins= oder Versammlungs-
recht Gebrauch macht, nur auf das Vereinsgesetz stützen. Zur Durch-
führung ihrer Anordnungen stehen der Polizeibehörde die Anordnungen
des § 132 LVG. zu Gebote, also Festsetzung von Geldstrafen eventl.
Haft oder unmittelbarer Zwang. Außerdem können über die Be-
teiligten kriminelle Strafen verhängt werden wegen Übertretung der