272 5. Buch. Die materielle Staatsverwaltung.
nur geduldet, was nicht ohne weiteres strafbar ist. Im Wege der
Polizeiverordnung kann angeordnet werden, daß Versammlungen und
Lustbarkeiten geschlossener Vereine, welche nach außen hin unmittelbar
bemerkbar und daher geeignet sind, Störungen der Sonn= und Festtags-
feier für die Allgemeinheit herbeizuführen, nicht stattfinden dürfen
(KG. vom 8. April 1897 in Selbstverwaltung 1897 S. 305). Ist
das polizeiliche Verbot zulässig, so beschränkt es sich nicht bloß auf die
Dauer des Gottesdienstes, sondern es gilt für den ganzen Tag. Zulässig
wäre hiernach die polizeiliche Anordnung, daß Lustbarkeiten in Wirts-
häusern oder sonstigen Vergnügungslokalen, Klubhäusern der Vereine,
an Sonn= und Feiertagen vor einer bestimmten Nachmittagsstunde
(3 oder 4 Uhr) nicht anfangen, sowie Bälle und Lustbarkeiten, Musik-
aufführungen (ausgenommen geistliche Mufik, Oratorien) an ersten (hohen)
Feiertagen nicht stattfinden dürfen. Dies ist geschehen für Brandenburg,
Posen, Sachsen durch Oberpräsidialverordnung. Ob sich vorstehendes
Verbot auch auf die Vorabende der hohen Festtage bezieht, ist streitig;
bejaht vom KG. in seinem Urteil vom 8. Juli 1897 (DJZ. S. 495)
und in Johow, Jahrb. Bd. 19 S. 32 (Urteil vom 16. Mai 1898).
In das Gebiet der Ordnungspolizei fällt auch diejenige polizeiliche
Tätigkeit, welche das Gesetz bei Ordnung gewisser in das bürgerliche
Leben tief eingreifender Rechtsverhältnisse vorgesehen hat. Als ein
derartiges Rechtsverhältnis, bei dem die polizeiliche Mitwirkung in
Frage kommt, ist das Gesindedienstverkhältnis zu nennen.
Nach § 10 der noch heute für Preußen in der Hauptsache in
Geltung befindlichen Gesindeordnung vom 8. November 1810 (GS.
S. 101) müssen Personen, die in den Gesindedienst eintreten wollen,
durch ein Zeugnis der Ortspolizeibehörde dartun, daß bei ihrer
Annahme als Gesinde kein Bedenken obwalte. In Ergänzung dieser
Bestimmung sind durch die Königl. Verordn. vom 29. September 1846
(GS. S. 467), abgeändert durch Ges. vom 21. Februar 1872 nebst
MSE. vom 26. Februar 1872 Gesindedienstbücher eingeführt,
wonach jeder Dienstbote verpflichtet ist, vor Eintritt in den Gesinde-
dienst oder bei Wechsel der Dienstherrschaft sich mit einem Gesinde-
dienstbuche zu versehen. Vor Ausfertigung des Buches hat die Polizei-
behörde 1) zu prüfen, ob der Annahme als Gesinde rechtliche Bedenken
entgegenstehen, namentlich ob der gesetzliche Vertreter die erforderliche
Einwilligung erteilt hat, und ob das sich meldende Kind aus der
Schule entlassen ist. Das in § 10 der Gesindeordn. vorgesehene
besondere Zeugnis wird durch die Ausfertigung des Gesindedienstbuchs
ersetzt (uvgl. Bek. des Polizeipräsidenten in Berlin vom 16. April
1875, Nr. 3 in der Sammlung der Berliner Pol.-V. 3. Ausg. Bd. 1
S. 102). Gegen die Entscheidung der Ortspolizeibehörde, daß gegen
die Annahme als Gesinde Bedenken bestehen, und die darauf gegründete
Verweigerung der Ausfertigung eines Gesindedienst-
buchs steht dem Dienstboten das Rechtsmittel der Beschwerde bezw.
1) Auf dem Lande der Amtsvorsteher, in den Städten der Bürgermeister bezw.
der für die Ortspolizei angestellte königliche Beamte, in Berlin der Vorstand des
Polizeireviers.