§ 6. Die Staatsbürger. 21
ferner die Grundrechte der Gleichheit vor dem Gesetz und vor dem
Richter. Freiheitsrechte sind die Grundrechte der Freizügigkeit, der
Gewerbefreiheit, der Freiheit der Wissenschaft, der Freiheit des religiösen
Bekenntnisses und der Freiheit der Meinungsäußerung (Grundrechte
der freien Betätigung des einzelnen Individuums), ferner die Grund-
rechte der Verehelichungsfreiheit, der Versammlungsfreiheit, der Ver-
einigungsfreiheit, insbesondere der Freiheit der Religionsgesellschaften
(Grundrechte des freien Zusammenschlusses mehrerer Individuen). Die
preußische Verfassungsurkunde hat, indem sie vor allem einen Schutz
und eine Garantie für die persönliche und religiöse Freiheit und für
die Unantastbarkeit des Privateigentums der Staatsbürger einführen
wollte, zu deren Wahrung sie besondere Rechtskautelen ausfstellt, im
einzelnen folgende Grundrechte namentlich aufgeführt und erörtert.
1. Gleichheit vor dem Gesetz, Gleiches Recht für alle.
Art. 4 Vl. bestimmt deshalb: Alle Preußen sind vor dem Gesetz
gleich. Standesvorrechte finden nicht statt. Die öffentlichen Amter
sind, unter Einhaltung der von den Gesetzen festgestellten Bedingungen,
für alle Befähigten gleich zugänglich. Die Gleichheit vor dem Gesetz
erstreckt sich auch auf Verordnungen. Selbstverständlich ist, daß nicht
stets die gleichen Gesetze für jeden Anwendung finden, indem für
bestimmte Erwerbszweige der Bevölkerung (Handeltreibende, Gewerbe-
treibende, Gesinde, Arbeiter, Beamte) Sondergesetzgebung besteht.
Art. 4 bezieht sich an sich nur auf preußische Staatsangehörige, für
Nichtpreußen greift Art. 3 der Reichsverf. Platz. Mit der Beseitigung
der Standesvorrechte sind alle politischen Vorrechte gewisser Stände
(Adelsstand, Ritterstand) im öffentlichen Recht und im Privatrecht
aufgehoben. In Verfolg dieses Grundsatzes ist die Verpflichtung zur
Leistung des Homagialeides zwecks Erwerbung von Rittergütern und
anderen Gütern, sowie behufs Ausübung von Provinzial-, Kommunal=
und kreisständischen Rechten durch Gesetz vom 28. Mai 1874 (GS.
S. 195) aufgehoben. Ebenso ist das Eheverbot wegen Ungleichheit
des Standes aufgehoben durch Gesetz vom 22. Februar 1869 (GS.
S. 365), welches außerdem bestimmte, daß dem Verbote zuwider bis
dahin geschlossene Ehen der nochmaligen Vollziehung zu ihrer Gültig-
keit nicht bedürfen. (Vgl. auch RG. vom 6. 2. 1875 § 39.) Auf
Ehen von vormals Reichsunmittelbaren bezieht sich die Aufhebung des
Eheverbotes nicht.
Von Art. 4 bleiben unberührt die Privilegien für die Mitglieder
des Königlichen Hauses, des fürstlich Hohenzollernschen Hauses und des
hohen Adels.
Zum Königlichen Hause gehören: Die Königin, die ebenbürtigen
Königlichen Witwen, die Prinzen und Prinzessinnen, welche von dem
ersten Erwerber der Krone durch anerkannte ebenbürtige, rechtmäßige
Ehe in männlicher Ehe abstammen, die ebenbürtigen Gemahlinnen
der preußischen Prinzen und ihre Witwen während des Witwenstandes.
Mit Prinzen aus fremden Häusern vermählte Prinzessinnen scheiden
aus dem Königlichen Hause aus.
Die Privilegien für die Mitglieder des Königlichen Hauses, welche