394 5. Buch. Die materielle Staatsverwaltung.
Als Gegenstand der Untersuchung gelten nicht nur die Seeunfälle
deutscher Kauffahrteischiffe, sondern auch die ausländischer Kauffahrtei-
schiffe, wenn der Unfall sich innerhalb der deutschen Küstengewässer
ereignet hat, oder die Untersuchung vom Reichskanzler angeordnet ist
G 2 des Gesetzes vom 27. Juli 1877). -
Das Gesetz vom 27. Juli 1877 ordnet die Errichtung von See-
ämtern zur Untersuchung von Seeunfällen an (8§9 1, 6). Das
Seeamt ist verpflichtet, die Untersuchung vorzunehmen, wenn bei dem
Unfalle entweder Menschenleben verloren gegangen oder ein Schiff
gesunken oder aufgegeben ist, endlich auch, wenn die Untersuchung
vom Reichskanzler angeordnet ist. Bei sonstigen Seeunfällen bleibt
die Vornahme der Untersuchung dem Ermessen des Seeamts überlassen
(§ 3). Durch die Untersuchung sollen die Ursachen des Seeunfalls,
sowie alle mit demselben zusammenhängenden Tatumstände ermittelt
werden. Insbesondere ist festzustellen: 1. ob der Schiffer oder der
Steuermann durch Handlungen oder Unterlassungen den Unfall oder
dessen Folgen verschuldet hat; 2. ob Mängel in der Bauart, Beschaffen-
heit, Ausrüstung, Beladung oder Bemannung des Schiffs, oder 3. ob
Mängel des Fahrwassers oder der für die Schiffahrt bestimmten
Hilfseinrichtungen (oder Seezeichen, des Lotwesens, der Rettungs-
anstalten usw.) oder Handlungen oder Unterlassungen der zur Hand-
habung dieser Einrichtungen bestellten Person den Unfall oder dessen
Folgen herbeigeführt haben; 4. ob die zur Verhütung des Zusammen-
stoßens von Schiffen auf See und die über das Verhalten nach einem
solchen Zusammenstoße erlassenen Vorschriften befolgt worden sind (§ 4).
Für die Untersuchung ist das Seeamt zuständig, a) in dessen
Bezirk der Hafen liegt, welchen das Schiff nach dem Unfalle zunächst
erreicht, b) dessen Sitz dem Ort des Unfalls zunächst belegen ist,
) in dessen Bezirk der Heimathafen des Schiffs liegt. Entstehen
Streitigkeiten oder Zweifel über die Zuständigkeit, so entscheidet das
Reichsamt des Innern (§ 5).
Die Errichtung der Seeämter und die Bestimmung der Auf-
sichtsbehörden steht den Landesregierungen nach Maßgabe der Landes-
gesetze, die Abgrenzung ihrer Bezirke dem Bundesrate zu. Die Ober-
aufsicht über die Seeämter führt das Reich (§ 6).
Die Zusammensetzung des Seeamts wird in den §§ 7—12
behandelt. Danach bildet das Seeamt eine kollegiale Behörde und
besteht aus einem Vorsitzenden und vier Beisitzern. Der Vorsitzende
muß die Fähigkeit zum Richteramt haben, er wird für die Dauer des
Hauptamts oder in Ermangelung dessen auf Lebenszeit ernannt.
Mindestens zwei Beisitzer müssen die Befähigung als Seeschiffer
besitzen und müssen als solche gefahren haben. Außerdem ist für
jedes Seeamt ein Reichskommissar bestellt, welcher über die Beobach-
tung der Bestimmungen des Gesetzes zu wachen hat.
Das Verfahren vor dem Seeamt ist in folgender Weise
geregelt (§86 14 bis 25): Über die Einleitung der Untersuchung
beschließt der Vorsitzende. Das Seeamt ist befugt, Beweis durch Ein-
nahme des Augenscheins zu erheben, Zeugen und Sachverständige zu