Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Zweiter Band. Preußen. (2)

§ 123. Straßenanlegungsgesetz. 2. Inhalt des Gesetzes. 463 
Den Unterschied zwischen der Fluchtlinienfestsetzung nach 
älterem und der nach neuerem Recht hat das Oberverwaltungs- 
gericht (in dem Urteil vom 11. Juli 1896 in v. Kamptz Bd. 2 
S. 115, 116) treffend dahin charakterisiert, daß die Linienfestsetzung 
nach älterem Recht ein ausschließlich polizeiliches war, zur Verhinderung 
von Städte oder öffentliche Plätze verunstaltenden, das gemeine Wesen 
schädigenden oder gefährdenden Bauten, während nunmehr die Linien= 
festsetzung erfolgt seitens der wegebaupflichtigen Gemeinde zum Zwecke 
der Straßenanlegung; die Gemeinde bindet sich (§ 10 des Ges. vom 
2. Juli 1875) an den durch die Fluchtlinienfestsetzung kundgegebenen 
Straßenbauplan und verschafft sich (§ 11 I. c.) zugleich in dem Ex- 
propriationsrechte die Möglichkeit seiner Ausführung. Die Maßnahme 
hat von dem Gesichtspunkte der Kommunalverwaltung aus vor allem 
die wichtige Bedeutung, daß in der Regel durch sie seitens der 
Gemeinde mit der Anlegung einer neuen Straße begonnen wird, daß 
sie also im Gegensatze zu dem negativen Inhalte des polizeilichen 
Eingreifens den ersten positiven Schritt zu einer Veranstaltung 
bezeichnet, welche von der Gemeinde im allgemeinen Interesse und zum 
besonderen Vorteile der an dem Straßenzuge liegenden Grundstücke 
unternommen wird. 
Für die Anlegung oder Veränderung von Straßen, d. h. nur öffent- 
lichen Straßen und Plätzen in Städten und ländlichen Ortschaften, 
sind nach § 1 des Straßenanlegungsgesetzes die Straßen= und 
Baufluchtlinien vom Gemeindevorstande im Einverständ- 
nis mit der Gemeinde bezw. deren Vertretung, dem öffentlichen 
Bedürfnisse entsprechend unter Zustimmung der Ortspolizeibehörde 
fest zusetzen. 
Die Ortspolizeibehörde kann die Festsetzung von Fluchtlinien ver- 
langen, wenn die von ihr wahrzunehmenden polizeilichen Rücksichten 
die Festsetzung fordern. Zu einer Straße gehört der Straßendamm 
und der Bürgersteig. Die Straßenfluchtlinien bilden regelmäßig 
zugleich die Baufluchtlinien, das heißt die Grenzen, über welche hinaus 
die Bebauung ausgeschlossen ist. Aus besonderen Gründen kann aber 
eine von der Straßenfluchtlinie verschiedene, jedoch in der Regel höchstens 
3 Meter von dieser zurückweichende Baufluchtlinie festgesetzt werden. 
Die Festsetzung nach § 1 ist nicht obligatorisch, sondern nur fakultativ, 
sie geschieht nur nach Ermessen der beteiligten Behörden und ist keines- 
wegs unerläßliche Vorbedingung für die Anlegung neuer Straßen. 
Das Bebauungerecht des Grundeigentümers besteht auch, wenn keine 
Fluchtlinienfestsetzung erfolgt ist und ohne Rücksicht auf künftige Straßen- 
anlagen (OVG. E. Bd. 14 S. 402; Bd. 19 S. 367 in v. Kamnptz 
Bd. 3 S. 21; Bd. 4 S. 501). Jedoch gibt eine vor Festsetzung 
erteilte Bauerlaubnis nicht ohne weiteres das Recht, den Bau, nachdem 
sich durch Offenlegung der neuen Fluchtlinienfestsetzung das Baurecht 
geändert hat, unverändert auszuführen; falls die neue Fluchtlinie ihm 
entgegensteht, kann vielmehr die Bauerlaubnis zurückgenommen werden 
(O. E. Bd. 24 S. 362; Bd. 28 S. 371 in v. Kamptz Bd. 4 
S. 536, 539, 540; Erg. Bd. I S. 461). 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.