Full text: Die Verfassung und Verwaltung im Deutschen Reiche und Preußen. Zweiter Band. Preußen. (2)

Anhang. 
A. Vergleichende Darstellung des Verwaltungsstreitver- 
fahrens und des zivilprozessualen Verfahrens. 
1. Abgrenzung der Verwaltungsstreitsache von der Zivilprozeßsache.!) 
Unter den Rechtssachen unterscheidet man Straf-, Zivil= und Verwaltungsstreit- 
sachen.)) Der Gegensatz zwischen Straf= und Zivilsache bietet keine Schwierigkeit, 
da es sich bei ersterer um den Sühneanspruch des Staates als solchen auf Schuld- 
vergeltung durch öffentliche Strafe handelt, und bei letzterer um die Geltend- 
machung eines subjektiven privaten Rechts. Dagegen ist eine scharfe begriffliche 
Abgrenzung der Zivilprozeßsache von der Verwaltungsstreitsache fast eine Unmög- 
lichkeit.5; Der Grund liegt darin, daß weder die publizistische, noch die privatrecht- 
liche Natur der Streitsache, noch die verschiedene Qualität ihrer Subjekte, die Eigen- 
schaft des Privatinteresses als eines geldwerten, die Form des Rechtstitels (Privat- 
rechtstitel oder öffentlichrechtlicher Titel) ein durchgreifendes Unterscheidungsmerk- 
mal bilden. Hinzu kommt, daß im Zivilprozeß der Zivilrichter vielfach gezwungen 
ist, öffentlichrechtliche Fragen zu prüfen und zu entscheiden, so die Vorfrage der 
Gültigkeit der Gesetze, des Verhältnisses von Reichs= und Landesrecht zueinander, 
der Staatsangehörigkeit der Parteien, das völkerrechtliche Verhältnis der Rezipro- 
zität. Auch bei Entscheidung des Streitstoffes selbst können öffentlichrechtliche Ver- 
hältnisse in Frage kommen. Die Eigenschaft der streitenden Teile selbst können die 
Beantwortung von Fragen des öffentlichen Rechts, des Beamtenrechts, der Staats- 
angehörigkeit usw. notwendig machen. Das Objekt eines Rechtsgeschäfts, eines Ver- 
trages, kann öffentlichrechtlicher Natur sein. Gegenstand der Verpflichtung kann 
eine staatsbürgerliche Last, Steuerpflicht, Armenlast sein; es kann ein Zinvilrecht ein 
öffentlichrechtliches Verhältnis zur Voraussetzung haben. 
Mit Rücksicht auf dies Ineinanderlaufen zivil= und öffentlichrechtlicher Gesichts- 
punkte in vielen Zivilprozeßsachen hat die Reichsgesetzgebung auch darauf verzichtet, 
für den Unterschied der Zivilprozeß- und Verwaltungsstreitsache prinzipielle Gesichts- 
1) S. hierüber Edgar Loening, Verwaltungsarchiv Bd. 2 S. 217 ff., 437 ff., 
Bd. 3 S. 94 ff., S. 510 ff.; A. Wach, Handbuch des deutschen Zivilprozeßrechts, 
Leipzig 1885, Bd. 1 § 8 S. 77—113; ferner Otto Mayer, Justiz und Verwaltung 
(Straßburger Rektoratsrede von 1902). 
2) Literatur: Uber das Wesen der Verwaltungstätigkeit: Laband, 
Staatsrecht des deutschen Reichs 4. Aufl. Bd. 2 S. 159 ff. Freiburg 1901; Lorenz 
Stein in Stengels Wörterbuch des deutschen Verwaltungsrechts Bd. 1 S. 706ff.; 
Stengel, Lehrbuch des Verwaltungsrechts S. 1 ff.; Otto Mayer, Verwaltungsrecht I 
S. 9, 13, 16, 23, 53—56, 151, 177 ff., 188, 192, 326 ff., 339; Loening, Lehrbuch des 
Verwaltungsrechts S. 1 ff.; Georg Meyer, Verwaltungsrecht I S. 1 ff.; Arndt, 
Staatsrecht des deutschen Reichs S. 208 ff.; Stier-Somlo, Die Einwirkung des 
burgerl. R. auf das preuß. deutsch. Verwaltungsr. Berlin 1900, 55 3—6 S. 10—77; 
James Goldschmidt, Verwaltungsstrafrecht (1902). Uber die Entstehung, Organi- 
sation und Verfahren der Verwaltungsgerichtsbarkeit: O. v. Sarwey, 
Das öffentliche Recht und die Verwaltungspflege, Tübingen 1880; Lorenz v. Stein in 
Grünhuts Zeitschr. f. öffentl. Rß. Bd. 6 S. 27 ff. (1879); Zorn im Verwaltungs- 
archiv Bd. 2 S. 74 ff.; insbesondere auch Tezner, ebendas. Bd. 8 S. 220 ff., 
475 ff., Bd. 9 S. 159 ff., 515 ff. 
S ) Bgl. hierüber insbesondere Vierhaus im Verwaltungsarchiv Bd. 11 (1803) 
22 f.
	        
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