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weiss und vielleicht das Gegenteil glaubt. Seine Unkenntnis des
Umstandes, dass er sich ihnen nicht gemäss verhält, ändert auch
dann, wenn ihm dessen Kenntnis nicht zugänglich war, daran
nichts, wenngleich jene insbesondere als unverschuldete wesentliche
Bedeutung hat für die Rechtsfolgen seines dem Rechte nicht
gemässen Verhaltens. Dagegen ist ohne Bedeutung seine unrich-
tige Meinung, sein Verhalten sei dem Rechte nicht gemäss. Es
kann, wie unrechtmässig und doch redlich, so unredlich und doch
rechtmässig sein, und während seine Redlichkeit die Folgen
seiner Unrechtmässigkeit mildert, so ist seine Unredlichkeit seiner
Rechtmässigkeit gegenüber ohne Bedeutung. So handelt unred-
lich wer eine Sache sich aneignet, die er für eine fremde hält,
also zu stehlen glaubt, während sie eine herrenlose und daher
seine Aneignung derselben eine rechtmässige ist.
Auch eine von dem Menschen, dessen Verhalten in Frage steht,
erkannte Norm desselben hat dafür nicht notwendig bestimmende
Bedeutung weil seinem Bedürfnisse, sich ihr gemäss zu verhal-
ten, ein andres vorgehen kann. Habe ich das Bedürfnis, mich den
Anforderungen meiner Gesundheit oder der Sitte gemäss zu ver-
halten, habe ich aber wegen eines mir noch wichtigeren Bedürf-
nisses ihnen bewusst zuwidergehandelt, so habe ich die dadurch
übertretenen Normen zwar nicht verkannt, aber doch nicht be-
folgt wegen einer für mein Bewusstsein ihnen vorgehenden Norm.
Objekt einer Norm ist nicht etwa nur menschliches Ver-
halten, sondern was immer eine bestimmte Bedeutung hat, die
ihm um so mehr zukommt, je mehr es bestimmte Bedingungen
erfüllt. So ist namentlich das ganze Leben nicht nur eines
Menschen, sondern auch eines Tieres oder einer Pflanze um so
normaler, je gesunder es ist oder je mehr es die Bedingungen
seines Gedeihens erfüllt. Auch das unbewusste Leben hat den
Trieb seiner Erhaltung und Förderung, also den Trieb ein nor-
males zu sein und immer mehr zu werden. Je mehr das Leben
ein bewusstes ist, desto mehr ist auch dieser Trieb ein bewusster,