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Wissenschaft ihr Haupt erhebt, denn dass diese ihrer Aufgabe gerecht
werde, ja dass sie eine Aufgabe überhaupt vorfinde, hat vor allem zur
Voraussetzung eine solche Höhe des Standpunktes, dass von ihm aus die
praktische Politik allseitig übersehen werden kann. Damit aber ist sodann
der Politik als Wissenschaft die Zumutung gemacht, dass sie sich nicht
nur in ihrem Verhältnis zu all diesen Wissenschaften, sondern auch zu allen
Teilen der Philosophie gründlich orientiere. Dies ist bisher in der Zeit-
schrift für Politik wohl nur in Bezug auf das Verhältnis zur Geschichte
(S. 1 ff.) und zur Soziologie (S. 219 ff.) versucht worden. Das Nächste, was
einer prinzipiellen Erörterung bedürftig zu sein scheint, ist das vielerörterte
und doch noch lange nicht erschöpfte Verhältnis von Politik und Recht
— oder was annähernd dasselbe ist — von Macht und Recht. Prinzipielle
Untersuchungen über das Machtproblem sind ja gegenwärtig an der Tagesord-
nung und das öffentliche Recht kann aus solchen Frörterungen fortdauern-
den Nutzen ziehen. Eine psychologische Beobachtung sei hier gestattet.
Wenn ich nicht irre, befindet sich die Rechtswissenschaft zurzeit allent-
halben in einer Krisis. Die gelehrte Gemütsruhe, mit welcher die Syste-
matik unsrer Wissenschaft bisher am Werke war, scheint gestört und allent-
halben findet die ehemals so wohlgefestigte Autorität der Wissenschaftlich-
keit Anfechtungen oder begegnet sie doch dem Vorurteil politischer Vor-
eingenommenheit. Dass in der Bildung von Begriffen des Rechtes und in
der Konstruktion rechtlicher Verhältnisse schon ein politisches Element ver-
mutet wird, ist nichts Neues, dass aber selbst einem Rechtssystem miss-
traut und das Prinzip des Rechtes selbst politisch angezweifelt wird, die-
dürfte eine Erscheinung und Folge der unsre Zeit beherrschenden skepti-
schen Richtung der Philosophie sein. Und wie in früheren Perioden, so
scheint auch gegenwärtig als gegnerische Richtung dieses Skeptizismus ein
Mystizismus in Vorbereitung zu sein. Für eine wissenschaftliche Bestim-
mung des Verhältnisses von Macht und Recht sind beide Richtungen nicht:
förderlich; um sie zum Nutzen fortschreitender Erkenntnis zu meiden, wird
es aber unerlässlich sein, einer Erfahrungsmethode zu folgen, welche den
Prinzipien von Macht und Recht mit gleicher Strenge auf den Grund geht.
Die Erkenntnis des Entwicklungsprinzips im Recht zeitigt auf der einen
Seite eine Flucht vor dem positiven Rechte oder doch eine Geringschätzung
gegenüber seinen bisherigen Erkenntnismethoden und drängt auf der an-
deren Seite die Gegner zu einer geistlosen kommentatorischen Kasuistik.
Die Frage nun, die uns angesichts dieser beunruhigenden Erscheinung be-
wegt, ist die: Wird die mit so elementarem Eifer erstrebte Systematik der
Politik zu einer wünschenswerten Reinigung und Vertiefung auch der Rechts-
wissenschaft hinführen ? Ohne Zweifel bietet eine Zeitschrift für Politik
Gelegenheit zur Klärung dieser Frage. Dass die vorliegende Zeitschrift da-
zu beitragen werde, ist zu wünschen und zu erwarten; denn nur dann,
wenn sie fördernd auch der Rechtswissenschaft zu dienen vermag, wird die