Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches.

g 53. Militärstrafrecht und Militärstrafverfahren. 563 
commandirende General bezw. der diesem gleichstehende Militärbefehlshaber jeden 
ihm untergebenen Militär= oder Civilbeamten der Militärverwaltung sofort seines 
Amtes entheben und von der Armee entfernen!. Die auf Kündigung angestellten 
Militär= und Civilbeamten der Militärverwaltung dürfen während des mobilen 
Zustandes ihres Truppentheils von ihrem Kündigungsrechte keinen Gebrauch machen 
und unterstehen den Militär-(und den Kriegs-) Gesetzen, bis sie entlassen sind. Dies 
beon auch für die Militärbeamten des Beurlaubtenstandes im Falle der Mobil- 
machung. 
Was im Uebrigen die Rechtsverhältnisse der Militärbeamten des Beurlaubten- 
standes anlangt, so find die gesetzlichen Gründe, welche bei Berufsbeamten die Auf- 
hebung des Dienstverhältnisses bewirken, auf dieselben nicht anwendbar ?. 
§ 53. Militärstrafrecht und Militärstrafverfahren. 
Allgemeines. 
Die Theilung der Gewaltens ist auf dem Gebiete des Militärstrafrechts 
und des Militärstrafverfahrens im Interesse der militärischen Disciplin nicht voll- 
ständig durchgeführt. Einst beruhte das gesammte eigentliche Militärstrafrecht auf 
der alleinigen Macht des Kriegsherrn". Dieser erließ die Kriegsartikel, ein 
besonderes Standes= und Strafrecht für die Militärpersonen. Nachdem für das 
Deutsche Reich das Militär-Strafgesetzbuch vom 20. Juni 1872 (R.-G.-Bl. 1872, 
S. 174) ergangen ist, find die vom Kaiser am 31. Oktober 1872 und am 23. No- 
vember 1872 für das Heer und die deutsche Marine verkündeten Kriegsartikel keine 
selbstständigen Strafandrohungen, sondern nur ein Auszug aus dem Militär-Straf- 
gesetzbuch. Die Kriegsartikel entnehmen somit ihre rechtsverbindliche Kraft nicht 
aus der Macht des Kaisers, sondern aus derjenigen des Reichsgesetzgebers. Die 
Verordnung vom 31. Oktober 1872 ist zunächst für das preußische Contingent er- 
lassen und im preußischen Armeeverordnungsblatt 1872, S. 330 abgedruckt; darauf 
find gemäß Art. 63, Abs. 5 der Reichsverfassung gleiche Verordnungen für die 
übrigen Contingente ergangen 5. Das Militär-Strafgesetzbuch erschöpft jedoch nicht 
das gesammte Militärstrafrecht. Für die leichteren Fälle ist das Strafrecht im 
Verordnungswege geregelt, nämlich als sogenanntes Disciplinarstrafrecht nur 
durch den Kriegsherrns. 
Die richterliche Gewalt ist von der vollziehenden Gewalt im Gebiete des 
Kriegswesens nicht oder doch nur sehr wenig getrennt; sie ist ein Theil der 
Commandogewalt geblieben. Dies zeigt sich namentlich darin, daß die ehrengericht- 
lichen Entscheidungen in der Sache nur Anträge und Vorschläge sind und daß der 
erkennende Spruch in ehrengerichtlichen Untersuchungen dem Kriegsherrn zusteht, 
daß ferner selbst in den eigentlich militärstrafgerichtlichen Fällen der Gerichtsherr die 
Einleitung des Verfahrens und die Richter bestimmt und daß ein militärgericht- 
liches Urtheil erst durch die Bestätigungsordre vollstreckbar wird. 
I. Das Militär-Strafgesetzbuch. 
Das Militär= Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich vom 20. Juni 1872 
(R.-G.-Bl. 1872, S. 174) bezieht sich nur auf militärische Verbrechen oder Ver- 
  
1 Vgl. hierzu Allerhöchste Kabinetsorder vom 2 S. oben 8§§ 22, 28 a. a. O., ferner Har- 
24ten September 1826, betr. das Verfahren seim, l. c. S. 103. 
bei unfreiwilliger Dienstentlassung der bei 2 Oben § 28. 
der Militairverwaltung angestellten Beamten, 4 Vgl. auch den Aufsatz „Kriegsartikel“ von 
(Preuß. Ges.-S. 1826, S. 85), Verordnung vom Hecker, in v. Stengel's Wörterbuch des deutschen 
21. Juli 1867, § 20 (Armeeverordnungsbl. 1870, Verwaltungsrechts, I. S. 871. 
S. 112), in Verbindung mit Art. 61 der Reichs- S. oben S. 544. 
verfassung; s. ferner § 123, Satz 2 des Reichs- * S. oben § 44, ferner S. 544. 
beamtengesetzes. 
  
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