Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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essen der Staatsangehörigen den Konsuln einer 
befreundeten Macht übertragen. Die mit dem 
Gegner geschlossenen Verträge treten außer Wirk- 
samkeit, soweit sie nicht gerade für den Kriegsfall 
abgeschlossen sind. Den Staatsangehörigen des 
Gegners kann der Eintritt in das Staatsgebiet 
verwehrt und auch die Zurückhaltung oder aber 
die Ausweisung der auf dem Staatsgebiet wei- 
lenden Angehörigen des Gegners verfügt werden. 
Eine zeitweilige Unterbrechung des normalen Ver- 
kehrs unter den Staaten hat die Bedeutung einer 
Verweigerung völkerrechtlicher Konnivenz und ist 
ein Mittel der Retorsion. Die Anlässe hierzu 
können in der Nichtberücksichtigung begründeter 
Beschwerden, in kirchenpolitischen oder oiplo- 
matischen Konflikten, insbesondere bei Verletzungen 
der Exterritorialitätsrechte, Vertragsrechte oder 
Ehrenrechte eines Staates gegeben sein. Einen 
solchen zeitweiligen Abbruch der diplomatischen 
Beziehungen zwischen Frankreich und der ägyp- 
tischen Regierung hatte im April 1885 die Unter- 
drückung des in Kairo erscheinenden französischen 
Journals Bosphore Egyptien zur Folge. Die 
ägyptische Regierung beeilte sich, die Rückkehr des 
französischen Generalkonsuls um so eher zu be- 
wirken, als Frankreich gleichzeitig erklärt hatte, 
von dem Übereinkommen betreffend die Reglung 
der ägyptischen Finanzen zurückzutreten. Ahnliche 
Drohungen, die völkerrechtlichen Beziehungen ab- 
zubrechen, hat Frankreich auf Madagaskar der 
Howasregierung gegenüber seinerzeit mehrmals 
ergehen lassen. Auch die Bewerkstelligung völker- 
rechtlicher Zwangsmaßregeln, ein Bombardement, 
eine Merkantilblockade ziehen den zeitweiligen Ab- 
bruch der Verbindungen und die Abberufung der 
diplomatischen Vertreter schon um deren Sicher- 
heit willen nach sich. Eine solche Maßnahme er- 
folgte während der Blockierung der Insel Formosa 
durch die Franzosen im Herbst 1884 und un- 
mittelbar vor der Verhängung der Blockade 
der Ostküste Griechenlands und des Golfs von 
Korinth durch die Flottenabteilung der Berliner 
Traktatmächte. Nach Ablauf der 24stündigen 
Frist für die Beantwortung des Ultimatums zogen 
sich die diplomatischen Vertreter Deutschlands, 
OÖsterreich-Ungarns, Englands und Italiens — 
der russische Gesandte war nicht anwesend, und die 
russischen Schiffe beteiligten sich an der Blockade 
nicht — auf die Schiffe zurück, und der Verkehr 
blieb so lange unterbrochen, bis Griechenland Ende 
Mai 1886 seine Rüstungen gegen die Türkei 
offiziell einstellte. Eine teilweise Einstellung des 
internationalen Geschäftsganges hat in neuerer 
Zeit bei Grenzkonflikten, Verweigerung der Rechts- 
hilfe, bei Zwischenfällen, welche die Empfindlich- 
keit eines Staats im Punkt der Ehre und Würde 
verletzten usw., die dadurch bezweckte Genugtuung 
mehrmals herbeigeführt. Es sei nur erinnert an 
die im Jahr 1881 an den österreichisch-ungarischen 
Gesandten in Bukarest ergangene Weisung, sich 
vorläufig jedes persönlichen Verkehrs mit der 
Abdankung. 
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rumänischen Regierung zu enthalten und nur die 
Erledigung der laufenden Geschäfte zu besorgen, 
bis über einige die freundschaftlichen Beziehungen 
beider Regierungen trübende Außerungen in der 
rumänischen Kammer in loyaler Form das Be- 
dauern ausgedrückt worden sei. Ein ähnlicher 
Vorgang spielte sich zwischen Spanien und Frank- 
reich ab, als der Botschafter Spaniens genötigt 
war, für die gegen den König Alfons XII. am 
29. Sept. 1883 von einigen Tumultuanten 
in Paris angestiftete Demonstration von der 
französischen Regierung Genugtuung zu ver- 
langen und zu erklären, bis dahin den offiziellen 
Verkehr auf die laufenden Geschäfte beschränken 
zu müssen. Lentner.] 
Abdankung. 1. Zulässigkeit, Er- 
fordernisse. Der Inhaber der Krone kann ent- 
weder das Recht an derselben und damit zugleich 
die Ausübung des Rechts oder bloß die letztere mit 
Beibehaltung des Rechts verlieren; das erstere 
tritt unter anderem ein infolge eines Verzichts auf 
die Krone. Die Zulässigkeit eines solchen Ver- 
zichts ist nicht bestritten. Es hängt mit der 
Theorie vom Staatsvertrag zusammen, daß ältere 
Autoren, z. B. Klüber, den Souverän zu einsei- 
tiger, willkürlicher Aufhebung seiner vertrags- 
mäßigen Verbindlichkeit nicht für berechtigt hielten. 
Daran ist wohl das richtig, daß der Monarch 
infolge der Ubernahme der Regierung nicht bloß 
Rechte, sondern auch Pflichten übernimmt. Es 
gehört aber nicht zu dieser Pflicht, daß er die 
Krone zeitlebens wirklich trage, sondern wie es 
Sache seiner Entschließung war, die zugefallene 
Krone anzunehmen oder abzulehnen, so ist er auch 
nicht gehindert, die angenommene wieder nieder- 
zulegen. Ein Zwang wäre schon um der großen 
moralischen Verantwortlichkeit willen unnatürlich, 
auch dem Gemeinwesen nicht förderlich, welchem 
mit erzwungener Regierungstätigkeit nicht gedient 
sein könnte. Wer das Thronentsagungsrecht be- 
streiten wollte, müßte auch das Recht, ein Amt 
niederzulegen oder gar die ganze Staatsbürger- 
schaft durch Auswanderung aufzugeben, bestreiten. 
Allerdings gibt es auch vom Amtsniederlegungs- 
recht Ausnahmen, aber nur in kleinen Republiken, 
deren Regierung einer Gemeindeverwaltung ähn- 
lich ist, wie in einigen Bergkantonen der Schweiz. 
Wenn man von Schranken des Abdankungsrechts 
sprechen will, so sind es entweder nur moralische, 
oder es liegen eigenartige Rechtsverhältnisse vor. 
Moralische Schranken sind es insofern, als ein 
Verzicht auf das überkommene und übernommene 
Rechts= und Pflichtverhältnis nur aus zureichenden 
Gründen geschehen soll. In dieser Beziehung ist 
der Brief des Papstes Klemens IX. vom 21. Juli 
1668 an den abdankenden König Johann Kasimir 
von Polen von den Autoren über Thronentsagung 
erwähnt worden. Besondere Rechtsverhältnisse 
liegen dann vor, wenn etwa zur Abdankung, wie 
in England, Zustimmung des Parlaments er- 
forderlich ist oder wenn durch Thronverzicht die 
 
	        
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