Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

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Schiffspapiere gefährdet werden können. Findet 
die Untersuchung an Bord des angehaltenen 
Schiffes statt, so wird ein Visitationskommando, 
bestehend aus einem oder zwei Offizieren mit zwei 
oder drei Mann, mittels Boots nach jenem ent- 
sendet. Diesem sind die Schiffsdokumente zur 
Einsicht vorzulegen, damit zunächst die Natio- 
nalität des Schiffes konstatiert werden kann. 
Welche Papiere zum Ausweis der Nationalität 
erforderlich sind, bestimmt sich nach den Gesetzen 
desjenigen Landes, welchem das Schiff angehört. 
Das wichtigste Papier ist das Zertifikat. In 
Ermanglung eines Zertifikats können als Beweis- 
mittel für die Nationalität des Schiffes in Betracht 
kommen: der Seepaß, das Flaggenattest, der Beil- 
brief, der Meßbrief, das Reedereiverzeichnis und 
anderweitige Eigentumsurkunden; für die Prüfung 
der Reisezwecke der Schiffspassagiere die Muster- 
rolle, da diese Namen und Nationalität des an 
Bord befindlichen Personals verzeichnet, endlich 
auch das Schiffstage= oder Logbuch, Journal, 
welches ein fortlaufendes Bild über die Reisetour 
zu geben hat. Abgangsort und Bestimmung des 
Schiffes werden auch nachgewiesen durch die Mu- 
sterrolle, die Pässe, die Zolldeklarierungsdokumente 
und die Ladungspapiere. Die letzteren geben über 
den Inhalt der Ladung, das Eigentumsrecht an 
derselben, deren Herkunft und Bestimmungsort 
Auskunft. Der Mangel der wichtigeren Papiere 
macht ein Schiff verdächtig. Sind die Papiere in 
Ordnung, so ist dem Schiff die Fortsetzung der 
Reise unter Ausstellung eines Attestes über die 
stattgehabte Prüfung und deren Ergebnis oder 
eines bezüglichen Vermerkes auf den Schiffspapieren 
zu gestatten. Nur wenn sich das Schiff der Visi- 
tation widersetzt hatte, oder wenn die Prüfung der 
Papiere dem feindlichen Marineoffizier Veran- 
lassung zu dem Verdacht gibt, daß sie gefälscht 
oder unregelmäßig sind, ist die Durchsuchung des 
Schiffes zulässig. Diese hat unter Zuziehung des 
Schiffers möglichst schonend stattzufinden. An- 
zuhalten und aufzubringen, d. h. dem Prisengericht 
des eigenen Staates zur Aburteilung zuzuführen, 
sind nach dem preußischen Prisenreglement von 
1864 nur Schiffe, deren Ladung aus Kriegskonter- 
bande besteht, die für den Feind oder einen feind- 
lichen Hafen bestimmt ist; Schiffe, welche doppelte 
oder wahrscheinlich gefälschte Papiere führen; 
Schiffe, welche keine Papiere führen, oder welche 
ihre Papiere beseitigt haben; Schiffe, welche auf 
die Aufforderung des Kreuzers nicht beilegen oder 
stoppen oder sich der Durchsuchung von Räumen 
und Behältnissen widersetzen, in welchen sich mut- 
maßlich Kriegskonterbande oder Popiere befinden; 
Schiffe, welche sich über ihre Nationalität nicht 
gebührend auszuweisen vermögen; Schiffe, welche 
des versuchten Blockadebruchs überführt oder ver- 
dächtig sind, vorausgesetzt, daß ihnen der Blockade- 
zustand des Hafens bekanntistz ferner Schiffe, welche 
feindliche Mannschaften, Depeschen für oder von 
dem Feind transportieren. Besteht die Ladung 
Durchsuchungsrecht. 
  
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nur zum Teil aus Kriegskonterbande, so kann nach 
einzelnen Reglements der Schiffer durch Löschen 
derselben auf der Stelle oder im nächsten Hafen 
das Schiff von der Aufbringung befreien. 
Welche Gegenstände Kriegskonterbande 
sind, steht völkerrechtlich nicht fest. Das Deutsche 
Reich bezeichnet als Kriegskonterbande Kanonen, 
Mörser, Waffen, Bomben, Granaten, Kugeln sowie 
überhaupt alle Gegenstäude, welche sich unmittelbar 
für den Krieg verwenden lassen, sofern sie nicht 
zum Gebrauch für das Schiff selbst dienen. 
England rechnet dazu Kohlen, Dampfmaschinen 
und jeden andern Gegenstand, dessen Bestimmung 
für feindliche Kriegszwecke sich in dem besondern 
Falle ergebe. Lebensmittel aller Art, Kleidungs- 
stücke usw. sind von seinen Prisengerichten für 
Kriegskonterbande erklärt worden. Damit wird 
neutrales Eigentum zur See tatsächlich dem feind- 
lichen gleichgestellt. Das Haager Abkommen will 
Lebensmittel und Feuerungsmaterial behufs Er- 
reichung des Heimathafens freigegeben wissen. 
Begriffsgemäß können Kriegskonterbande nur für 
den Krieg geeignete und zugleich für eine der 
Kriegsparteien bestimmte Waren oder Personen 
sein. Die Entscheidung hängt von den Umstän- 
den des einzelnen Falles ab, soweit nicht unter 
den Kriegführenden ein ausdrückliches Einver- 
ständnis über die Gegenstände, die sie als Konter- 
bande zu behandeln beabsichtigen, erzielt ist. Auch 
über den objektiven Tatbestand des Blockade- 
bruchs ist noch keine Einigung erzielt. So- 
bald die Blockade rechtsbeständig, d. h. auf diplo- 
matischem Weg notifiziert und tatsächlich vor- 
handen ist, soll nach einer in der Praxis noch 
vielfach vertretenen Auffassung eine Präsumtion 
nicht bloß dafür vorhanden sein, daß der Sach- 
verhalt auf dem neutralen Schiff bekannt gewesen 
ist, welches auf dem Weg nach dem blockierten 
Hafen hin betroffen wird, sondern auch dafür, daß 
dieses Schiff einen Blockadebruch wirklich beab- 
sichtigt hat. Für die Aufbringung eines derartigen 
Schiffes gilt daher jenes Reiseziel für genügend. 
Diese Auffassung ist irrig, weil die rechtliche Exi- 
stenz einer Blockade zugleich mit der tatsächlichen 
Einschließung aufhört; ein Schiff kann daher sehr 
wohl bona side die Reise nach einem blockierten 
Hafen unternehmen, erwartend, daß bis zu seiner 
Ankunft die Blockade aufgehoben sei. Die Auf- 
bringung eines Schiffes ist daher nur dann zu- 
lässig, wenn dasselbe tatsächlich versucht, durch List 
oder durch Gewalt in den blockierten Hafen zu 
gelangen. Dieser in der bewaffneten Neutralität 
von 1800 ausgesprochene Grundsatz wird von 
England nicht anerkannt. 
Ergibt die Durchsuchung des Schiffes Kriegs- 
konterbande, so ist es aufzubringen (croit 
de saisir). Der Befehlshaber des Kreuzers hat 
unter Zuziehung des Schiffers oder Steuermanns 
des aufgebrachten Schiffes die Ladung, soweit 
tunlich, unter Siegel oder Verschluß zu legen und 
die Schiffspapiere nebst einem von ihm und dem
	        
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