Full text: Staatslexikon. Erster Band: Abandon bis Elsaß-Lothringen. (1)

1579 
schusses ernannt, während die übrigen lediglich 
durch das Vertrauen des Kaisers berufen werden. 
Der Staatsrat begutachtet Gesetzentwürfe, all- 
gemeine zur Ausführung von Gesetzen zu erlassende 
Verordnungen und endlich andere Angelegenheiten, 
die ihm zu diesem Zweck überwiesen werden. Durch 
die Landesgesetzgebung können dem Staatsrat auch 
andere, insbesondere beschließende Funktionen über- 
tragen werden. 
Das Budgetrecht und das Recht der Zustim- 
mung bei Ausübung der Gesetzgebung (siehe jedoch 
oben Sp. 1577) sind dem Landesausschuß ge- 
wahrt, welcher aus 58 Mitgliedern besteht. Von 
diesen werden 34 durch die Bezirkstage (10 in Ober-, 
13 in Unterelsaß und 11 in Lothringen), 4 von den 
Gemeinderäten der Städte Straßburg, Mülhausen, 
Metz und Colmar und 20 durch Wahlmänner aus 
den Gemeinderäten in den Landkreisen auf drei 
Jahre gewählt. Das Wahlverfahren ist geheim 
und indirekt; zum Abgeordneten ist wählbar, wer 
das aktive Gemeindewahlrecht besitzt, 30 Jahre 
alt ist und in dem Bezirk seinen Wohnsitz hat. 
Die Sitzungen des Landesausschusses waren an- 
fänglich geheim, sind aber seit dem 1. März 1882 
öffentlich. Die Amtssprache ist von demselben Zeit- 
punkt ab deutsch (Gesetz vom 23. Mai 1881); 
Mitgliedern, welche der deutschen Sprache nicht 
mächtig sind, ist das Verlesen aufgezeichneter Reden 
gestattet. Die Mitglieder haben einen Eid (Ge- 
horsam der Verfassung und Treue dem Kaiser) zu 
leisten; sie wählen ihre Präsidenten selbst und be- 
ziehen Tage-(20 M) und Reisegelder (nach den 
Sätzen für die Beamten 1. Klasse). — Der Kaiser 
kann den Landesausschuß vertagen und auflösen; 
seine Auflösung zieht auch die der Bezirkstage nach 
sich. Die Neuwahlen zu den Bezirkstagen haben 
in einem solchen Fall innerhalb dreier Monate, die 
für den Landesausschuß innerhalb sechs Monaten 
vom Tage der Auflösungsverordnung an statt- 
zufinden. Der Landesausschuß hat auch das Recht, 
innerhalb des Bereichs der Landesgesetzgebung Ge- 
setze vorzuschlagen und an ihn gerichtete Petitionen 
dem Ministerium zu überweisen. 
Zum Zweck der innern Verwaltung zerfällt 
das Reichsland in drei Bezirke: Unterelsaß 
(Straßburg), Oberelsaß (Colmar) und Lothringen 
(Metz) mit je einem Bezirkspräsidenten. 
Derselbe ist der eigentliche Träger der innern 
Verwaltung, er ist für alle Verwaltungshand- 
lungen zuständig, soweit sie nicht durch Sonder- 
vorschrift andern Behörden übertragen sind. Sei- 
ner Leitung und Beaufsichtigung unterliegt na- 
mentlich die Gemeindeverwaltung, das Elementar- 
schulwesen, die öffentliche Gesundheits= und Ar- 
menpflege, die Forst= und Landesbauverwaltung, 
die Förderung von Gewerbe und Landwirtschaft 
sowie die Handhabung der Landespolizei. Dem 
Ministerium unmittelbar unterstellt sind die Ver- 
waltung des Bergwesens, der Steuern, des höhe- 
ren Unterrichtswesens und die Wasserbauverwal- 
tung. Zur Ausübung seiner Tätigkeit sind dem 
Elsaß-Lothringen. 
  
1580 
Bezirkspräsidenten eine Reihe von Regierungs--, 
Schul-, Bau- und Medizinalräten beigegeben. Für 
die Ausübung der Verwaltungsgerichtsbarkeit be- 
steht ein „Bezirksrat“, der sich aus drei Mitgliedern 
des Bezirkspräsidiums zusammensetzt. Gegen dessen 
Entscheidung steht ein Rekurs an den „Kaiserlichen 
Rat“ zu, der aus einem besondern Vorstand und 
acht Mitgliedern des Ministeriums gebildet wird. 
Die Bezirke zerfallen in Kreise (im ganzen 23), 
diese wieder in Kantone. An der Spitze der Kreise 
stehen Kreisdirektoren, deren Befugnisse in 
den beiden Stadtkreisen Straßburg und Metz 
von den Bezirkspräsidenten wahrgenommen werden. 
Die Kreisdirektoren führen die Aufsicht über die 
Gemeinden, insbesondere über deren Vermögens- 
verwaltung, auch liegt ihnen die Wahrung der 
Interessen der Volkswohlfahrt ob. Den Kreis- 
direktoren stehen zur Vorbereitung der Beschlüsse 
der Bezirkstage Kreistage zur Seite, deren Mit- 
glieder wie die der Bezirkstage gewählt werden. 
Doch sind die Kreise keine Selbstverwaltungs- 
körper, sondern nur Verwaltungsbezirke ohne juri- 
stische Persönlichkeit. Zu Ermittlungen und zur 
Ausführung seiner Verfügungen stehen dem Kreis- 
direktor die Polizeibehörde und die Gendarmerie 
zur Verfügung. Die Sorge für die Aufrechterhal- 
tung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung 
steht im allgemeinen der Ortspolizei zu; Straß- 
burg, Metz und Mülhausen haben Landespolizei 
unter einem Polizeidirektor (in Mülhausen versieht 
diese Funktion der Kreisdirektor). Die Über- 
wachung der Eisenbahngrenzstationen liegt beson- 
dern Grenzpolizeikommissaren ob. — Die Kan- 
tone sind aus der französischen Zeit als Unter- 
abteilungen der Kreise beibehalten worden; sie 
bilden aber weder einen staatlichen noch kommu- 
nalen Verwaltungsbezirk; nur insofern kommen 
sie in Betracht, als sie für die Bezirkstage je einen 
Vertreter in direkter allgemeiner Wahl wählen. 
Auch werden Kantonalärzte, die aber nicht Beamte 
sind, vertraglich angestellt und nötigenfalls beson- 
dere Kantonalgesundheitskommissionen gebildet. 
Die Eisenbahnen, die im Eigentum des Reichs 
stehen, sind dem Reichsamt für die Verwaltung 
der Reichsbahnen in Berlin unterstellt. In Straß- 
burg befindet sich eine Generaldirektion der Reichs- 
eisenbahnen. Zu deren Beratung in wichtigen 
wirtschaftlichen Fragen besteht ein Eisenbahnrat. 
Dieelsaß-lothringischen Landesbeamten gehören 
nicht zu den eigentlichen Reichsbeamten; sie werden 
zwar vom Kaiser bzw. Statthalter ernannt, aber 
der Kaiser erscheint ihnen gegenüber nicht als 
Reichsoberhaupt, sondern als Landesherr; auch 
werden sie nicht aus Reichs-, sondern aus Landes- 
mitteln besoldet. 
Kommunalverbände mit dem Recht der 
Selbstverwaltung sind die Gemeinden und die 
Bezirke. Ein Unterschied zwischen Stadt= und 
Landgemeinde besteht nicht; doch haben die Ge- 
meinden mit 25000 Einwohnern und die ihnen 
gleichgestellten einige Vorrechte. Die Gemeinde- 
 
	        
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