Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Vorgang vollzieht sich der Ubergang eines Privat- 
rechts vom Enteigneten auf den Erwerber und wird 
zwischen diesen ein privatrechtliches Schuldver- 
hältnis begründet (Layer, Prinzipien des Enteig- 
nungsrechts, 1902). 
Befugt zur Zulassung der Zwangsenteignung 
ist regelmäßig die Staatsgewalt. Doch ist der 
Umfang der Enteignungsbefugnis der Staats- 
gewalt in den verschiedenen Staaten verschieden 
geregelt. Bald wird für jeden Enteignungsfall 
ein besonderes Gesetz erfordert, wie in England, 
in Sachsen und bei Enteignungen durch das 
Deutsche Reich für Eisenbahnbauten (Verf.-Urk. 
Art. 41) und andere Zwecke. Bald entscheidet ein 
Verwaltungsorgan uneingeschränkt nach seinem 
Ermessen, wie in Frankreich, Elsaß-Lothringen, 
Preußen, Württemberg und Baden. Bald sind 
durch das Gesetz gewisse Kategorien aufgestellt, 
wie Wege, Eisenbahnen, innerhalb deren die ge- 
setzlich zuständige Behörde zur Zulassung der Ent- 
eignung für einen bestimmten Fall ermächtigt ist, 
während für alle außerhalb dieser Kategorien ge- 
legenen Fälle ein besonderes Gesetz erfordert wird. 
So sind in Bayern alle Unternehmungen, für 
welche enteignet werden kann, gesetzlich im voraus 
festgestellt, während Hessen dem Staat, der Pro- 
vinz, dem Kreis und der Gemeinde das Enteig- 
nungsrecht kraft Gesetzes verleiht und daneben die 
Verleihung für Eisenbahnzwecke an das Reich, 
einen Bundesstaat sowie an Privatgesellschaften 
und Privatpersonen durch landesherrliche Ver- 
ordnung, für anderweitige Zwecke durch Spezial- 
gesetz zuläßt. Gewöhnlich ist die Zulassung der 
Zwangsenteignung beschränkt auf die Erbauung 
von Landstraßen, Eisenbahnen, Kanälen und 
Wasserleitungen, auf die Einrichtung oder Er- 
weiterung von öffentlichen Plätzen, Straßen, 
Gottesäckern, Kirchen, Schulen und Festungen, auf 
Vorflutverschaffung und Fischereiwesen, Schiffbar- 
machung und Eindämmung von Flüssen, auf 
außerordentliche Notstände bei Wasser-, Feuer- 
und Kriegsgefahr, auf Viehseuchen= und Pflanzen- 
infektionsgefahr, endlich auf den Bergbau. Ob 
das Unternehmen ein öffentliches oder privates ist, 
der Offentlichkeit oder Privatzwecken dient, ist an 
sich gleichgültig; nur muß es Wert haben für das 
öffentliche Wohl. 
Subjekt der Enteignung ist der Unternehmer 
der dem öffentlichen Wohl dienenden Anlage, 
welchem das Enteignungsrecht verliehen ist. Das 
Recht des Unternehmers ist ein privatrechtliches 
sog. Persönlichkeitsrecht. Unternehmer kann der 
Staat sowohl wie eine Privatperson, eine öffent- 
liche oder private Korporation sein. Die Ansicht, 
daß der Staat als solcher immer Subjekt der Ent- 
eignung sei, aber für ein einzelnes Unternehmen 
seine Befugnis auf eine Korporation oder Privat- 
person übertrage, beruht auf einer Verwechslung 
des Enteignungsverleihungsrechts als Staats- 
hoheitsrechts mit der Enteignungsberechtigung zur 
Ausführung eines bestimmten Unternehmens. 
  
Enteignung. 
  
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Gegenstand der Enteignung können beweg- 
liche und unbewegliche Sachen und Rechte sein. 
Die Enteignung kann sich auf die ganzen Sachen 
oder auf Teile derselben erstrecken; sie kann nicht 
nur in deren Entziehung, sondern auch in einer 
das Eigentum nicht aufhebenden dauernden oder 
vorübergehenden Beschränkung der Herrschafts- 
befugnis über die Sache bestehen. Rechte können 
Gegenstand der Zwangsenteignung entweder in 
der Art sein, daß die auf enteigneten Grundstücken 
haftenden Rechte Dritter, welche von den Unter- 
nehmern nicht übernommen werden, namentlich 
Servituten, Reallasten, Pfandrechte, Pacht und 
Miete, den Berechtigten entzogen und zugunsten 
des Enteigners aufgehoben werden, oder in der 
Art, daß für den Enteigner durch Zwangsenteig- 
nung dingliche Rechte auf das Eigentum des Ent- 
eigneten gelegt werden. Auch Rechte, die nicht auf 
Sachen sich beziehen, können enteignet werden, 
z. B. Patentrechte. Vorübergehende Beschrän- 
kungen in der Gebrauchsbenutzung einer Sache 
können in Preußen ohne Enteignungsverfahren 
von der Regierung angeordnet werden, aber nur 
auf drei Jahre. Bei längerer Dauer ist Enteig- 
nungsverfahren notwendig. Der gewöhnliche 
Gegenstand der Enteignung sind Grundstücke, wes- 
halb sich das Enteignungsrecht auch zunächst mit 
Bezug auf die Entziehung und Beschränkung des 
Grundeigentums entwickelt hat; die dafür gebil- 
deten Rechtssätze sind alsdann auf die Entziehung 
und Beschränkung der dinglichen Rechte am Grund- 
eigentum sowie der beweglichen Sachen und obli- 
gatorischen Rechtsverhältnisse übertragen worden. 
In vielen Gesetzen ist die Enteignung allerdings 
nur geregelt für Grundeigentum und Rechte am 
Grundeigentum, was jedoch zu eng ist. Die Ent- 
eignung ist ferner nicht nur gegen Sachen und 
Rechte von Privatpersonen, sondern auch gegen 
öffentliches und Staatseigentum zulässig. Ver- 
äußerungsverbote (z. B. bei Lehen und Fideikom- 
missen) behindern sie nicht. 
4. Das Enteignungsverfahren zerfällt in 
drei Abteilungen: in die Verleihung des Enteig- 
nungsrechts an den Unternehmer mit Bezeichnung 
des Unternehmens und der Gegenstände der Ent- 
eignung, in die Feststellung der Entschädigung und 
die Vollziehung der Enteignung. Sind zur Vor- 
bereitung eines die Enteignung rechtfertigenden 
Unternehmens Vorarbeiten nötig, so hat der Be- 
sitzer von Grund und Boden auf Anordnung der 
Verwaltungsbehörde sich solche gefallen zu lassen. 
Auf Grund derselben wird in den Staaten, in 
welchen die Verleihung des Enteignungsrechts 
durch die Verwaltungsorgane erfolgt, bei diesen die 
Zulassung der Enteignung beantragt. 
Nach Verleihung des Enteignungsrechts und 
vor Ausführung des Unternehmens hat nach dem 
preußischen Enteignungsgesetz, das als Beispiel 
dienen kann, der Unternehmer einen Plan für das 
Unternehmen aufzustellen und von der Verwal- 
tungsbehörde prüfen zu lassen. Bei einer Anlage
	        
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