Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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bigen bis zum Ende der Zeiten fortsetzen soll, hat 
er selbst oft das Reich Gottes, das Reich der 
Himmel genannt unter dem bedeutungsvollen, jeder 
Mißdeutung begegnenden Hinweis, daß es erst 
ein im Nahen begriffenes, nicht ein schon vorhan- 
denes sei. Als gleichbedeutend mit diesen Be- 
nennungen bedient er sich auch des Wortes Kirche 
(Matth. 16, 18; 18, 17). Indes beschränkt er 
sich nicht darauf, auf die Begründung einer Kirche 
hinzudeuten, die Idee einer solchen auszusprechen 
und damit den Bildungskeim zur Verwirklichung 
derselben in das Bewußtsein einzusenken wenn 
das Bedürfnis diese fordern sollte; er hat sie selbst 
dadurch begründet, daß er mit der Berufung der 
Apostel zu seiner Stellvertretung oder mit der 
Stiftung des Apostolates die Elemente ihres Seins 
geschaffen und die Organe ihrer Wirksamkeit be- 
stimmt hat zu dem Zweck, sein Werk zur indivi- 
duellen Durchführung zu bringen, und damit selbst 
erfüllt, was er früher als bevorstehend angekündigt 
hatte. Auch die Apostel waren, wie alle andern, 
zunächst berufen, die Lehre Christi in sich aufzu- 
nehmen, in treuer Nachfolge ihm immer ähnlicher 
zu werden. Außerdem bestand aber zwischen den 
Aposteln und Christus noch eine andere Beziehung, 
deren Wesen und Ziel über die einzelne Person 
hinausging und mit der Verwirklichung der Er- 
lösung in und an den Menschen zusammentraf. 
Christus hat die Apostel ausgewählt, weil sie be- 
stimmt waren, nicht nur Christen, sondern Stell- 
vertreter in seiner Wirksamkeit zu sein. Nachdem 
sie in jener engeren Gemeinschaft für diese Mission 
vorbereitet waren, übertrug er ihnen unter den 
Worten: „Wie mich der Vater gesandt hat, so 
sende ich euch“, die dreifache Gewalt seines Lehr-, 
Priester= und Hirtenamtes (Matth. 18, 18; 28, 
19—20). Es gebrach noch an dem zweiten wesent- 
lichen Moment der Stellvertretung, und dieses hat 
seine Verwirklichung in der Sendung des Heiligen 
Geistes am Pfingstfest gefunden. 
War aber die Stiftung der Kirche eine göttliche 
Tat und war für ihre Wirksamkeit zur Erreichung 
ihres Zweckes mit ihrer Konstitution nach den 
wesentlichen Elementen zugleich in der Gesamtheit 
der Apostel das notwendige Organ göttlich ge- 
schaffen, so mußte dieses, als mit der Verheißung 
unvergänglicher Dauer ausgestattet, nach dem Ab- 
leben der Apostel fortbestehen; an ihrer Statt 
mußten andere eintreten, die, ausgerüstet mit der 
dreifachen Gewalt des Lehr-, Priester- und Hirten- 
amtes, Träger des Apostolats waren, wie sie. 
Dies geschah, indem der Episkopat an die Stelle 
des Apostolats trat und die Gesamtheit der Apostel 
in der Gesamtheit der Bischöfe fortdauerte, die 
einzelnen Apostel aber in den einzelnen Bischöfen 
ihre dem Wesen nach gleichen und ebenbürtigen 
Nachfolger erhielten. 
Wir sehen nun, wie die Apostel noch bei ihren 
Lebzeiten in den von ihnen gestifteten Gemeinden 
der Gläubigen untergeordnete Gehilfen zur Vor- 
nahme bestimmter Funktionen, namentlich des 
Episkopat. 
  
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Taufens, der Abhaltung des Gottesdienstes und 
der Besorgung der Armenpflege, bestellten, so daß- 
die Verfassungsgestalt der Kirche in der apostoli- 
schen Urzeit nach den Organen ihrer Wirksamkeit 
eine dreifache Abstufung zeigt, nämlich in den 
Aposteln, in den von ihnen zur Aushilfe bestellten 
Priestern, auch Bischöfe genannt, und in den 
gleichfalls von ihnen bevollmächtigten Diakonen. 
Sobald sich jedoch die Zahl und der Umfang der 
jungen Christengemeinden erweitert hatten und 
demnach die Apostel nicht mehr unmittelbar die 
leitende Aussicht führen konnten, so sahen sie sich 
genötigt, dieselbe innerhalb eines größeren Bereichs 
durch einsichtsvolle und bewährte Männer in ihrem 
Namen und mit ihrer Autorität bekleidet ausüben 
zu lassen. Unter den in der Heiligen Schrift ge- 
nannten Männern, welche mit diesen stellvertreten- 
den Funktionen in der Oberleitung betraut waren, 
nehmen Timotheus von Ephesus und Titus von 
Kreta eine besonders hervorragende Stelle ein, 
und an ihnen läßt sich deshalb auch die Stellung 
und Bedeutung solcher Apostelgehilfen ge- 
nauer charakterisieren. Schon die besondern Be- 
nennungen, mit denen die Apostel sie vor den 
übrigen von ihnen bestellten Gehilfen auszeichnen, 
vor allem auch die Vollmacht, welche denselben 
erteilt wird, Episkopen und Diakonen einzusetzen, 
stelten es außer Zweifel, daß sie wesentlich eine 
andere und höhere Bedeutung haben als diese. 
Sie bilden jedoch keineswegs etwa eine Zwischen- 
stufe zwischen den Aposteln und den von diesen 
oder von ihnen selbst in den einzelnen Gemeinden 
bestellten Episkopen, sondern sie erscheinen betraut 
mit der vollen apostolischen Gewalt und üben diese 
im persönlichen Auftrag der Apostel aus, was 
Theodoret die Veranlassung gibt, sie geradezu 
Apostel zu nennen. Ihr eigentümlicher Beruf ist 
aber zunächst auf die Lebenszeit der Apostel be- 
schränkt, insofern sie die ihnen übertragene Gewalt 
nur als ihre Stellvertreter, nicht als ihre Nach- 
folger in dem apostolischen Amt ausübten. 
Für die Apostel stellte sich indes um so dringen- 
der, je näher der Zeitpunkt ihres Ausscheidens aus 
dieser Welt heranrückte, die Notwendigkeit ein, sich 
Nachfolger einzusetzen, d. h. Männer zu be- 
stellen, die nicht wie bisher unter ihrer Oberleitung 
in den einzelnen Gemeinden sich als ihre Gehilfen 
betätigten oder statt ihrer diese Oberleitung führten, 
sondern welche eben das waren, was sie gewesen, 
dieselben Befugnisse ausübten wie sie, unter der 
gleichen Bevollmächtigung und Sendung wie sie. 
Wenn uns nun auch in der Apostelgeschichte 
und in den Briefen der Apostel keine direkten 
und jede andere Deutung ausschließenden Mit- 
teilungen über diese Bestellung gemacht werden, 
da ja namentlich bei letzteren eine derartige ge- 
schichtliche Berichterstattung außerhalb ihres Zweck- 
bereichs lag, so fehlt es doch auch hier keineswegs 
an Andeutungen, die mindestens zu der Folgerung 
berechtigen, daß das aprioristisch als notwendig 
Erscheinende auch tatsächlich zur Ausführung ge-
	        
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