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schule für gewerbliche Arbeiter unter 18 Jahren
(§ 120). Weitere Aufgaben dieser Art, und zwar
auf dem Gebiete des Arbeiterschutzes, werden den
Gemeinden übertragen durch die Novelle zur Ge-
werbeordnung von 1891. Das Reichskranken-
versicherungsgesetz vom 15. Juni 1883 fügt hinzu
die Berechtigung einer bedeutenden Ausdehnung
des Krankenversicherungszwanges, das Reichsgesetz
betreffend die Gewerbegerichte vom 29. Juli 1890
die Errichtung von ordentlichen Gewerbegerichten,
das Reichsgesetz vom 6. Juli 1904 die Errichtung
von Kaufmannsgerichten. In gleicher Weise ist
den Gemeinden eine Rechtsprechung auf gewerb-
lichem Gebiet übertragen worden.
Sodann hat die Gemeinde, wie bereits erwähnt,
die Aufgabe der öffentlichen Armenpflege, welcher
sich die öffentliche Krankenpflege (s. Art. Ge-
sundheitspflege) anschließt. Dieselbe ist grundsätz-
lich als eine Pflicht der Gemeinde zu betrachten,
soweit die Leistung der Privattätigkeit nicht ge-
nügt. Hierhin gehört in erster Linie die Sorge
für Krankenhäuser der verschiedenen Arten. Eine
bedeutende Erweiterung ihrer Aufgaben auf diesem
Gebiete für die unteren Klassen hat die Gemeinde
in Deutschland erfahren durch das Reichskranken-
versicherungsgesetz vom 15. Juni 1883;, sie ist die
Trägerin der Gemeindekrankenversicherung (8 4)
und die Behörde für Errichtung der Ortskranken-
kassen geworden (88 16 ff, 23 ff). Der Kranken-
pflege schließt sich an die Sorge für Lungenheil-
stätten und ähnliche Sanatorien, endlich für Ferien-
kolonien im Interesse schwächlicher Schulkinder.
Der öffentlichen Gesundheitspflege dient
die Sorge für Volksbäder, für Armen= und Schul-
ärzte, für Wöchnerinnen usw.
Auch das Schulwesern erscheint als eine na-
türliche Aufgabe der Gemeinde, ohne daß jedoch
die Gemeinde berechtigt wäre, das private Schul-
wesen auszuschließen. Das Elementarschulwesen
ist eine Aufgabe aller Gemeinden, namentlich auch
der Landgemeinden, die Errichtung von Fort-
bildungsschulen, Fachschulen, Gymnasien und
andern Schulen dieser Ordnung eine Aufgabe
größerer Stadtgemeinden. Die modernen Groß-
städte sind sogar nicht davor zurückgeschreckt, Hoch-
schulen zu errichten: Handelshochschulen, solche für
Musik, Hochschulkurse für praktische Medizin. Die
eigentlichen Universitäten dagegen dürften dauernd
dem Staate überlassen bleiben, der auch sonst, wo
die Leistungsfähigkeit der Gemeinde nicht genügt,
ergänzend eintritt. Den Aufgaben auf dem Ge-
biete des Schulwesens schließt sich in größeren Ge-
meinden an die Sorge für wissenschaftliche und
Kunstinteressen durch Archive, Bibliotheken, Mu-
seen, auch für Volksbibliotheken und Lesehallen.
Auf wirtschaftlichem Gebiete sind diejenigen
Aufgaben hierher zu rechnen, welche als Aufgaben
der Gesamtheit erscheinen und nur durch diese zu
erfüllen sind: die Sorge für öffentliche Reinlich-
keit (Straßenreinigung, Kanalisation, Wasser-
leitungen, Schlachthäuser); die Sorge für den
Gemeinde.
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öffentlichen Verkehr (Beschaffung von Wegen,
Brücken, Werften. Häfen); die Verhütung allge-
meiner Kalamitäten (Feuerlösch= und Deichwesen).
Eine besondere Ausbildung gewinnen in neue-
ster Zeit die so zialen Aufgaben der Gemeinde.
Mar spricht von einer kommunalen Sozialpolitik,
sogar von Kommunalsozialismus; in manchen
Städten sind aus den Gemeindevertretungen be-
reits soziale Kommissionen gebildet, um vornehm-
lich die Bedürfnisse der unteren Volksklassen im
Auge zu behalten. Sparkassen, Leihhäuser, Volks-
bureaus zur Rechtsbelehrung und Hilfe in Rechts-
sachen, Arbeitsnachweisbureaus, Volksküchen in
Zeiten der Arbeitslosigkeit fallen in den Kreis
dieser Aufgaben. Bei dem Erlaß von Bauord-
nungen, der Anlage von Stadterweiterungen, der
Handhabung der Baupolizei und der Kontrolle
der Wohnungen wird die Berücksichtigung der
sozialen Gesichtspunkte verlangt; bei Wohnungs-
mangel für die unteren Stände wird die Unter-
stützung gemeinnütziger Bauvereine und der Bau
von Wohnungen für die eigenen Unterbeamten
und Arbeiter der Gemeinde erwartet. Wo die
Gemeinde als Arbeitgeberin auftritt, soll ihre
sozialpolitische Haltung vorbildlich sein. Sie soll
die große Wohlfahrtspflegerin für alle ihre Bür-
ger, namentlich die unteren Klassen, sein. Auf
industriellem Gebiet drängt die Entwicklung
dahin, daß die Gemeinde mehr und mehr gewisse
Einrichtungen in die Hand nehme, welche früher
der Privatunternehmung überlassen waren, um
sie nicht nach einseitigen Erwerbsgesichtspunkten,
sondern nach den Grundsätzen einer wohlwollenden
Sozialpolitik betreiben zu können; so bei Gas-
anstalten, Elektrizitätswerken, Straßenbahnen,
Feuerversicherungsanstalten.
Neben der Wahrnehmung dieser ihrer eigenen
Interessen wird die Gemeinde auch vom Staat
vielfach benutzt für die Besorgung staatlicher
Aufgaben (Osterreich: im übertragenen Wirkungs-
kreise), indem der Staat sich der Gemeinde als
seines Organs bedient, das für ihn und in seinem
Namen die Aufgaben zu erfüllen hat. So wird
die Gemeinde benutzt auf dem Gebiet des Militär-
wesens für die Einquartierung und die Natural-
versorgung der Truppen, zur Erhebung der staat-
lichen und kirchlichen Steuern, als Hilfsorgan für
die staatliche Polizei und Rechtspflege, als Hilfs-
organ für die allgemeine Landesverwaltung, in
Baden ausnahmsweise auch zur Führung der
Grundbücher. So kommt zu dem eigenen Wir-
kungskreis der Gemeinde ein ihr vom Staat über-
tragener hinzu. — Zur Erfüllung aller dieser Auf-
gaben bedarf die Gemeinde sowohl eines Ver-
mögens (V) als laufender Einnahmen (VI).
V. Die Gesamtheit des Gemeindevermögens
zerfällt in drei Arten, welche sowohl hinsichtlich der
rechtlichen Grundsätze als auch der wirtschaftlichen
Ausnutzung verschieden sind.
1. Das öffentliche Vermögen der Gemeinde:
res quae in publico usu sunt. Hierher gehören