Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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Kischer Verfassung Art. 25 —, kann und muß da- 
bei bestehen bleiben, namentlich soweit der Staat 
das Maß der gemeindlichen Leistungen nach all- 
gemeinen staatlichen Rücksichten und ohne Rück- 
sicht auf die Leistungsfähigkeit der einzelnen Ge- 
meinden bestimmt. Staatliche Leistungen solcher 
Art nehmen an Bedeutung und Ausdehnung in 
neuerer Zeit immer mehr zu. In Preußen ist 
seitdem das Gesetz vom 14. Mai 1885 aufge- 
hoben und ersetzt worden durch Überweisung der 
staatlichen Grund-, Gebäude= und Gewerbesteuer 
an die Gemeinden bei Gelegenheit der Kommunal= 
steuerreform vom 14. Juli 1893. Die Beiträge 
des Staates zu den Kosten der öffentlichen Volks- 
schule sind durch Gesetz vom 28. Juli 1906 be- 
treffend die Unterhaltung der öffentlichen Volks- 
schule angemessen geregelt worden. In Sachsen 
hat die Uberweisung der halben Grundsteuer an 
die Gemeinden, und zwar zu Schulzwecken, bereits 
stattgefunden durch Gesetz vom 27. März 1886. 
Häufiger sind solche Uberweisungen zur Dotation 
höherer Kommunalberbände. 
6. Zur Deckung eines Fehlbetrags im Haus- 
halt der Gemeinden, welcher durch Anspannung 
der Steuerkraft einstweilen nicht aufzubringen ist, 
sind Anleihen nicht selten. Sie kommen am 
häufigsten in rasch aufblühenden Städten vor, 
aber auch in ländlichen Gemeinden. Dieselben 
stellen keine reinen Einnahmen dar. Vielmehr 
steht ihnen die Eingehung einer gleich hohen Schuld 
gegenüber. Sie sind eine Vorwegnahme der Ein- 
nahmen späterer Zeiten im Wege des Kredits, 
bedürfen daher einer besondern Beurteilung. Ab- 
gesehen von Anleihen, welche durch eine schlechte 
Finanzverwaltung oder eine verschwenderische 
Finanzgebarung nötig geworden sind, ist über 
Anleihen der Gemeinden mutatis mutandis das- 
selbe zu sagen wie über staatliche Anleihen: Zur 
Deckung eines reinen Verwaltungsdefizits, d. h. 
eines Fehlbetrages aus der Erfüllung der regel- 
mäßigen Funktionen der Gemeinden, sind An- 
leihen durchaus verwerflich. Sie sind nur aus- 
nahmsweise ratsam in besondern Notlagen, wo die 
ordentlichen Steuern nicht eingehen, bei Krieg, 
Mißwachs, Überschwemmung. Anleihen zur An- 
lage großer Werke, welche einen direkten finanziellen 
Ertrag nicht geben, wie der Bau von Rathäusern, 
Kanalisationen usw., sind nur mit großer Vorsicht 
und nur mit festen, kurzen Amortisationsfristen 
aufzunehmen. Anleihen dagegen zur Anlage von 
gewerblichen Anstalten, welche dauernd ihre ge- 
samten Kosten selbst decken oder noch einen Nutzen 
abwerfen, sind am wenigsten bedenklich, sofern 
feste, wenn auch längere Amortisationsfristen vor- 
gesehen sind und eine vorsichtige Verwaltung ge- 
sichert ist. 
7. Die Einnahmen der Gemeinden aus Ver- 
mächtnissen und Schenkungen sind ehe- 
dem recht erhebliche gewesen, namentlich in den 
wohlhabenden Städten des Mittelalters. Ihnen 
verdanken viele Städte heute noch ein beträcht- 
  
Gemeinde. 
  
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liches Nutzungsvermögen. In neuerer Zeit wird 
dieser hochherzige Gemeinsinn oft vermißt, nament- 
lich in den überrasch aufgeblühten und reich ge- 
wordenen kapitalistischen Großstädten. Man sucht 
in diesen vergebens das Bestehen eines Patriziats, 
das sich der mit dem Besitz eines großen Ver- 
mögens verbundenen Pflichten gegenüber der Ge- 
meinde voll bewußt ist. Doch kommen auch diese 
Einnahmen noch vor, namentlich für Schul= und 
Armenzwecke. Man darf es für heute als eine 
Forderung sowohl richtiger Finanzpolitik als auch 
der Gerechtigkeit verlangen, daß solche Einnahmen 
nicht zur einmaligen Erleichterung der Steuerlast, 
sondern zu dauernden Anlagen verwendet werden, 
so daß ihre Erträge nicht nur der lebenden Gene- 
ration, sondern der Gemeinde in ihrer historischen 
Kontinuität zum Nutzen gereichen. 
VII. Kommunalverbänude. Das moderne 
Staatsleben kennt außer der Ortsgemeinde eine 
Reihe von Bildungen, welche nach der einen oder 
andern Hinsicht den Gemeinden verwandt sind, 
ohne darum in ihrem Grundcharakter mit den- 
selben übereinzustimmen. Zu diesen Bildungen, 
welche häufig im uneigentlichen Sinne Gemein- 
den genannt werden, gehören zunächst die schon 
erwähnten höheren Kommunalverbände 
innerhalb des Staates, die Länder, Provinzen, 
Regierungsbezirke, Distrikte usw., denen eine ge- 
wisse Selbstverwaltung zugewiesen ist. Sie be- 
ruhen nicht auf dem unmittelbaren nachbarlichen 
Zusammenwohnen, wie die Ortsgemeinde, son- 
dern umfassen ein mehr oder weniger ausgedehn- 
tes Gebiet. Ihre Aufgaben sind nicht örtlicher 
und daher nur ausnahmsweise wirtschaftlicher 
Natur. Sie sind vielmehr regelmäßig die Träger 
staatlicher Aufgaben, welche sie nicht aus eigenem 
Recht, sondern im Namen und Auftrage des 
Staates verwalten. Wenn ihnen für die Besor- 
gung dieser Aufgaben eine gewisse Selbständigkeit 
gegenüber der Zentralverwaltung des Staates ein- 
geräumt ist, und wenn ihre Organe zum Teil aus 
freier Wahl der Eingesessenen hervorgehen, so ge- 
nügen diese Berührungspunkte doch nicht, um sie 
zu den Gemeinden zu rechnen. Die Bezeichnung 
als Kommunalverbände oder die Benennung als 
Kreisgemeinden, Distriktsgemeinden usw. darf 
daher nicht mißverstanden werden, als ob sie mit 
den Kommunen, den Ortsgemeinden, wesensgleich 
oder wesensähnlich wären. Klarer und richtiger 
ist für sie die Bezeichnung als Selbstverwaltungs- 
körper. Sie sind mehr oder weniger willkürlich 
gebildete oder historisch gewordene Abteilungen 
des Staates zur Verwaltung staatlicher Aufgaben 
auf Grund der Übertragung dieser Aufgaben durch 
den Staat. 
Etwas Ahnliches gilt von den sog. Samt- 
gemeinden, wie man die rheinischen Bürger- 
meistereien, die Amter in Westfalen, die Ober- 
amtsbezirke in Hohenzollern und die in den öst- 
lichen Provinzen Preußens bestehenden Amts- 
bezirke genannt hat. Auch sie sind willkürlich 
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