Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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regel menschlicher Weisheit, aber nicht als eine an 
sich göttliche und bleibende Anordnung erweist 
(Rothe a. a. O. 523, Nr 207). 
Jene andere Theorie aber, nach welcher der 
Epistopat nicht einmal auf eine Anordnung oder 
ein planmäßiges Eingreifen der Apostel zurück- 
zuführen ist, sondern als das abschließende Er- 
gebnis geschichtlicher Entwicklung erscheint, kann 
nur dadurch den Schein einer Begründung ge- 
winnen, daß sie nicht allein die biblische Hinter- 
lage, sondern auch die geschichtlichen Zeugnisse 
nicht berücksichtigt oder deren Beweiskraft durch 
willkürliche Deutung zu brechen sich bemüht. Dieser 
sog. Kollegialtheorie gemäß sollen zur Zeit der 
Apostel die einzelnen Christengemeinden durch 
Kollegien von Kirchenvorstehern, Priestern oder 
Bischöfen, repräsentiert und geleitet worden sein. 
Dieselben seien aber keineswegs von den Aposteln 
zu ihrer Vertretung befähigte und bevollmächtigte 
Gehilfen, sondern Organe der Gemeinden, also 
Gemeindebeamte gewesen, von den Gläubigen 
allein oder mindestens unter deren Mitwirkung 
bestellt. Hierbei habe ja von selbst im Interesse 
einer geordneten Tätigkeit und regelmäßigen Ge- 
schäftsführung allmählich einem Mitglied dieser 
Kollegien auf Grund seines Alters oder anderer 
hervorragender persönlicher Eigenschaften ein 
moralisches Ubergewicht zufallen müssen mit der 
Folge, daß ihm eine Art oberster Leitung ein- 
geräumt ward, wenngleich rechtlich seine Stellung 
dadurch keine Veränderung erfahren habe und er 
immer nur der Erste unter sonst Gleichen gewesen 
sei. Hierauf sei es dann, und zwar auf dem Boden 
jeder Einzelgemeinde, naturgemäß zu einer wei- 
teren Entwicklung gekommen, indem dieser erste 
sich über seine Kollegen erhoben, nach und nach 
auch rechtlich diesen gegenüber eine höhere Stellung 
eingenommen und krast derselben, zunächst noch 
mit ihnen, über die Gemeinde aus eigener Auto- 
rität Leitungs= und Regierungsbefugnisse ausgeübt 
habe. Schließlich sei die letzte Wandlung, und 
zwar der Übergang oder die Umbildung der kon- 
stitutionell monarchischen in die absolut monar- 
chische Verfassungsform, damit erfolgt, daß die 
kollegialen Elemente, welche bisher die alleinige 
Ausübung der Kirchengewalt durch einen ver- 
hindert hätten, weggefallen seien, nachdem es 
diesem gelungen war, alle Gewalt usurpatorisch 
und trotz der anfänglichen oppositionellen Strö- 
mung an sich zu bringen und als alleiniger In- 
haber unter dem fortan fixierten Titel „Bischof" 
zu betätigen. Dabei sei es in jeder Hinsicht gleich- 
gültig, ob der Abschluß dieser Entwicklung an die 
apostolische Zeit hinanreiche oder nicht; denn sei 
es einmal geschichtlich konstatiert, daß an eine 
göttliche Einsetzung des Episkopats nicht zu denken 
ist, so verschlage es gar nichts, ob sich die Apostel 
für ein bestimmtes Institut interessiert hätten oder 
nicht. Wie dem aber auch sein möge, jedenfalls 
seien die Bischöfe nicht Nachfolger der Apostel, 
sondern Nachfolger der Priesterkollegien, aus denen 
Episkopat. 
  
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sie hervorgegangen. Dabei wird auf analoge Ent- 
wicklungsvorgänge in dem Gebiet der Staats- 
geschichte in der Voraussetzung hingewiesen, daß 
man die Kirche und ihre Verfassungsentwicklung 
zu den Staaten und deren Entwicklungsgang in 
* stellen und jene mit diesem illustrieren 
ürfe. 
Bei dieser Theorie übersieht man, daß trotz 
etwaiger Ahnlichkeit zwischen kirchlicher und staat- 
licher Verfassungsform und ihrer Ausbildung eine 
wesentliche Verschiedenheit besteht und namentlich 
beide von ganz andern Kräften getrieben und ge- 
tragen werden. Bei der Kirche hat sich nicht, wie 
bei den Staaten, das Haupt aus der Masse unter 
dem Bildungsdrang bestimmter Ideen empor- 
gearbeitet, vielmehr war dasselbe, mit göttlicher 
Macht und Autorität ausgerüstet, zuerst da 
in der Person Christi. Ihm hatten sich die Gläu- 
bigen anzuschließen und unterzuordnen. Mit der- 
selben Gewalt und Autorität ausgerüstet treten 
sodann die von diesem Haupte bestellten Apostel in 
die Welt hinaus, und als Vertreter und Organe 
desselben konnten auch nur sie überall da, wo sie 
Gemeinden begründeten, der Mittel- und Aus- 
gangspunkt, wie jeder kirchlichen Wirksamkeit, so 
auch jeder kirchlichen Gewalt sein. Wie das Haupt, 
Jesus Christus, zu den Aposteln sagte: „Nicht ihr 
habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt“, 
so konnten auch die Apostel zu den Gemeinden 
sagen. Und wo immer in den Gemeinden andere 
tätig wurden, ganz gleich, ob von diesen gewählt 
oder von den Aposteln direkt bestellt, so konnten 
auch sie, mochten es Priester oder Diakonen sein, 
die dazu notwendige Gewalt oder Vollmacht nur 
von den alleinigen Inhabern empfangen und in 
Unterordnung unter diese in dem ihnen zugestan- 
denen Umfang ausüben. Daß also die Apostel in 
den Gemeinden, deren Oberleitung sie nicht un- 
mittelbar selbst führen konnten, eine Vertretung 
in derselben einrichteten und für den Fall ihres 
Ablebens sich Nachfolger ernannten, dies findet 
schon in den Gründen innerer Wahrscheinlichkeit 
eine ausreichende Gewähr. 
Aber auch auf dem Gebiet der Tatsachen und 
der geschichtlichen Data ist jene Theorie unhaltbar. 
Denn nirgends kann die Existenz eines souveränen 
Priesterkollegiums nachgewiesen werden. 
Die Berufung auf die Angaben des hl. Hierony- 
mus (Comm. in Ep. ad Titum) und des Am- 
brosiaster (Uomm. in Ep. ad Eph.) über bie Ent- 
stehung des Episkopats zeigt sich bei näherer Prü- 
sung als hinfällig, da dieselben bei dem ersteren 
das Ergebnis einer nach eigenem Geständnis ge- 
waglen und in diesem Fall auch irrtümlichen 
Exegese sind, bei dem letzteren aber sich gar nicht 
auf die Entstehung des Episkopats, sondern auf 
eine im Lauf der Zeit eingetretene Veränderung, 
die in der Abstellung der üblichen Nachfolge nach 
der Anciennitätl bestand, beziehen. Diese Theorie 
ist darum nicht einmal eine historische Kombination, 
sondern nur eine reine Hypothese. Nach ihr müßten 
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