Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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nügen, können bzw. müssen die Kinder ander- 
weitig in Erziehung gegeben werden. Wenn die 
Eltern dies bloß deshalb tun, um die persönliche 
Last der Erziehung loszuwerden und ungehin- 
dert dem Vergnügen nachgehen zu können, so ist 
das eine Pflichtverletzung. 
Es ist jedoch, wenn es sich um das Erziehungs- 
amt handelt, noch ein weiterer Gesichtspunkt ins 
Auge zu fassen. Nach christlicher Anschauung 
ist die Kirche die von Gott eingesetzte allgemeine 
Erziehungsanstalt für alle Menschen. Aufgabe der 
Kirche ist es, die Menschen für ihr ewiges Heil zu 
erziehen und sie daher im gegenwärtigen Leben er- 
ziehlich zu leiten, damit sie den Weg gehen, „der 
zum Himmel führt“. Gilt aber dies im allge- 
meinen, so muß diese Erziehung des Menschen von 
seiten der Kirche in dem Augenblick beginnen, wo 
für den Menschen die Fähigkeit und das Bedürfnis 
der Erziehung vorliegt. Demnach erstreckt sich die 
erziehliche Wirksamkeit der Kirche auch auf die 
Jugend, und zwar auf diese erst recht, weil sie der 
erziehlichen Leitung am meisten bedarf. Die 
Jugenderziehung ist somit eine wesentliche Auf- 
gabe der Kirche. Verhält es sich aber so, dann 
haben die christlichen Eltern in der Ausübung 
ihres Erziehungsamtes der Kirche gegenüber eigent- 
lich keine souveräne Stellung, sondern fungieren 
vielmehr als Organe der Kirche, der höchsten Er- 
zieherin hienieden, und zwar werden sie durch das 
Sakrament der Ehe und in demselben mit der 
Aufgabe betraut, im Namen und im Auftrag der 
Kirche ihre Kinder nach den Gesetzen der christ- 
lichen Ordnung für ihre zeitliche Lebensaufgabe 
und für ihr ewiges Heil zu erziehen. Deshalb 
stehen die Eltern denn auch in ihrer erziehlichen 
Tätigkeit unter dem leitenden Einfluß der Kirche. 
4. Verhältnis der Erziehung zum 
Unterricht. Zur Erziehung gehört wesentlich auch 
der Unterricht (s. d. Art.); dieser ist ein Teil der 
Erziehung. Wenn das Kind erzogen werden soll 
für seine zeitliche und ewige Bestimmung, dann 
ist es unumgänglich notwendig, daß es unter- 
richtet werde in dem, was seine ewige Bestim- 
mung betrifft, und in dem, was zu wissen sein 
zeitlicher Beruf erfordert. Und wenn es der Er- 
ziehung obliegt, die Entwicklung aller Seelenkräfte 
des Zöglings zu vermitteln, so liegt ihr auch die 
Entwicklung seiner intellektuellen Kräfte ob, die 
eben durch den Unterricht geschieht. Der Unter- 
richt ist aber auch ein Mittel der Erziehung. Denn 
durch diese soll ja der Zögling dazu herangebildet 
werden, daß er im Alter der Reife mit Eifer und 
Begeisterung für das Wahre und Gute einsteht, 
und daß ihm das sittliche Streben, sowie die treue 
und gewissenhafte Erfüllung seines Berufes im 
sittlichen Interesse als die Hauptaufgabe seines 
Lebens gilt. Aber eine solche edle Haltung im 
Leben ist wesentlich bedingt durch die Erkenntnis 
der Wahrheit und der Pflichten, welche daraus 
hervorgehen. Diese Erkenntnis wird aber dem 
Zögling vermittelt durch den Unterricht. — Er- 
  
Erziehung. 
  
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ziehung und Unterricht sind somit voneinander 
untrennbar. Es ist ganz unstatthaft, den Unter- 
richt als etwas Selbständiges zu betrachten, das 
neben der Erziehung einhergeht, mit dieser aber 
nichts zu schaffen hat. Der Unterricht muß, wenn 
es sich um die Ausbildung der Jugend handelt, 
stets als erziehlicher Unterricht aufgefaßt, er muß 
stets im Zusammenhang mit der Erziehung — 
als Teil und Mittel der letzteren — gehalten wer- 
den; geschieht das nicht, so erreicht keines von bei- 
den mehr seinen vollen Zwesk. Die modernen Be- 
strebungen, nur den Unterricht offiziell zu pflegen, 
die Erziehung aber als etwas Gleichgültiges zu 
betrachten, können nur zum Verderben der Jugend 
ausschlagen. Wer also erzieht, der muß zugleich 
unterrichten, und wer unterrichtet, der muß zu- 
gleich unterrichtend erziehen. 
Nun sind aber die Eltern zum weitaus größten 
Teil ganz außerstande ihren Kindern den er- 
ziehlichen Unterricht persönlich zu erteilen, teils 
weil ihnen dazu die nötige Vorbildung und die 
erforderliche Methode fehlt, teils weil sie durch die 
Pflichten ihres Berufes oder durch die Beschaffung 
der Lebensnotdurft derart in Anspruch genommen 
sind, daß ihnen für den Unterricht ihrer Kinder 
weder Zeit noch Neigung bleibt. Dies gilt schon 
vom Elementar-, noch mehr aber von dem höheren 
Unterricht. Es ist also notwendig, daß hier ein 
stellvertretender Erzieher und Lehrer für die Eltern 
einspringt, um dasjenige zu leisten, was diese für 
sich allein nicht vermögen. Und wenn nun diese 
Stellvertretung in der Weise organisiert wird, 
daß ein von einer Gesamtheit von Familien be- 
rufener Lehrer die Kinder während einer bestimm- 
ten Zeit des Tages um sich sammelt, um sie ge- 
meinsam zu unterrichten und unterrichtend zu 
erziehen, so entsteht dadurch die Schule. Diese 
ist somit die natürliche Ergänzung der elterlichen 
Erziehung und findet sich daher in irgend einer 
Form bei allen Kulturvölkern. 
Damit ist nun aber von selbst auch im wesent- 
lichen bereits gesagt, daß die Schule der Familie 
gegenüber keine souveräne Stellung hat, als wäre 
sie ein dem Elternhaus übergeordnetes Institut, in 
welches die Eltern ihre Kinder zu geben hätten, um 
sie für Zwecke zu erziehen, die der Familienerzie- 
hung fremd sind. Diese modern-pädagogische An- 
schauung ist völlig haltlos. Die Schule ist vielmehr 
wesentlich die Stellvertreterin des elterlichen Hau- 
ses; der Lehrer ist in der Schule der Stellvertreter 
der Eltern. Die Schule ist da, um namens und 
anstatt der Eltern dasjenige zu leisten, was die 
elterliche Erziehung für sich allein genommen nicht 
zu leisten vermag. Dies gilt namentlich von den 
Schulen, für die ein Staatszwang besteht. — 
Weiter ergibt sich hieraus, daß der wesentliche 
Charakter der Schule der einer Erziehungsanstalt 
ist, die also der Erziehung zu dienen hat. Aller- 
dings ist es zunächst Sache der Schule, zu unter- 
richten; aber der Unterricht ist ja, wie wir gesehen, 
nur ein Teil bzw. Mittel der Erziehung. Die
	        
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