Full text: Staatslexikon. Zweiter Band: Eltern bis Kant. (2)

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anstalien von Staats wegen und für den Staat 
erzogen zu werden. 
Man sage nicht, daß wir hier in unsern Fol- 
gerungen zu weit gehen. Der moderne Staat 
allerdings hat die Sache noch nicht so weit ge- 
trieben. Das christliche Prinzip des elterlichen 
Erziehungsrechts wurzelt in dem Herzen des 
Volkes noch zu tief, als daß es jetzt schon ge- 
raten schiene, zur vollständigen Konfiskation jenes 
Rechts vorzugehen. Dagegen hat der Sozialismus 
diese völlige Konfiskation des elterlichen Er- 
ziehungsrechts bereits auf sein Programm ge- 
schrieben. Wie ehedem der erste Begründer der 
sozialistischen Theorie, Plato, so will auch der 
moderne Sozialismus für seinen Zukunftsstaat 
die gänzliche Aufhebung der Familienerziehung; 
die Kinder sollen gemeinsam in eignen Anstalten 
von Staats wegen für die Zwecke des sozialisti- 
schen Staates erzogen werden — das ist es, was 
er uns in Bezug auf die künftige Gestaltung der 
Erziehung in Aussicht stellt. Und in der Tat, 
wer wird dem Sozialismus hierin die Folgerich- 
tigkeit absprechen wollen? 
7. Unterrichtsfreiheit. In dem Kampfe 
gegen dieses Staatsschulmonopol erscheint als das 
erste Ziel, das anzustreben ist, die Unterrichts- 
freiheit. Wir verstehen unter dieser zunächst, daß 
es gestattet sei, außer und neben den Staatsschulen 
auch freie christliche Schulen unter Aufsicht und 
Leitung der Kirche zu gründen, mit den gleichen 
Rechten ausgestattet wie die Staatsschulen, und 
daß es den Eltern ohne Präjudiz und Nachteil 
für sie oder ihre Kinder anheimgegeben bleibe, 
ihre Kinder in diese Schulen zu schicken. — Diese 
Unterrichtsfreiheit halten wir für dasjenige, was 
in unserer heutigen Lage dem drückenden Staats- 
„schulmonopol gegenüber mit aller Kraft anzu- 
streben ist, namentlich zunächst in Bezug auf die 
mittleren und Hochschulen, in denen der Geist der 
modernen Pädagogik bis jetzt vorzugsweise sich 
festgesetzt hat. Diese Unterrichtsfreiheit erscheint 
uns als Mittel, die Schule und die Erziehung in 
der Schule allmählich wieder für jene Stellung 
zurückzuerobern, welche sie ihrer Natur und Be- 
stimmung nach einzunehmen hat. Diese Zurück- 
eroberung wäre da keine gewallsame; sie würde 
sich vollziehen auf dem loyalen Weg des Wett- 
bewerbs. Die freien Schulen würden so konkurrieren 
können mit den Staatsschulen, und es würde sich 
dann zeigen, ob die freie christliche Schule oder 
die Staatsschule in diesem Wettbewerb Sieger 
bliebe. — Die Unterrichtsfreiheit in diesem Sinn 
ist eine der elementarsten Forderungen der Ver- 
nunft und der Freiheit; der Vernunft: denn es 
streitet gegen die Vernunft, einen jungen Mann 
deshalb von allen staatlichen Amtern zurückzu- 
weisen, weil er nicht in der Staatsschule gebildet 
worden ist, obgleich seine Kenntnisse ihn vollkom- 
men zu einem Amte befähigen; der Freiheit: denn 
wenn es dem einzelnen nicht mehr freisteht, die er- 
forderlichen Kenntnisse zu erwerben, wo er will, 
Staatslexilon. II. 3. Aufl. 
Etat — Expropriation. 
  
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wenn die Eltern nicht mehr berechtigt sind, ihre 
Kinder erziehen und bilden zu lassen, wo und wie 
sie wollen, dann sind ihrem natürlichen Selbst- 
bestimmungsrecht zu enge Grenzen gezogen. Die 
Unterrichtsfreiheit ist somit unter unsern modernen 
Verhältnissen eine unbedingte, gar nicht mehr ab- 
zuweisende Forderung der christlichen Erziehungs- 
lehre.) 
Die Literatur über E. u. Unterricht ist so 
reichhaltig, daß wir uns darauf beschränken müssen, 
bloß neuere Werke hier aufzuführen. Dazu gehören: 
Sailer, Über E. für Erzieher (veue Ausgabe 1905); 
Demeter, Grundsätze der E. u. des Unterrichts (neue 
verkürzte Ausgabe 1895); Zeheter, E.3- u. Unter- 
richtslehre (21849); Barthel, Schulpädagogik 
(/1873); Dursch, Pädagogik oder Wissenschaft der 
E. (1851); Stapf, E. slehre (I 1854); Th. Waitz, 
Allgemeine Pädagogik (“1898, hrsg. von Will- 
mann); Kellner, Volksschulkunde (I1886); Leitner, 
Handb. der christl. Pädagogik (1867); Dupanloup, 
Die E. (1867); Kerschbaumer, Kathol. E. slehre 
(1868); Alleker, Die Volksschule (31881); Kehrein 
u. Keller, Handb. der E. u. des Unterrichts (11906); 
Ostermann u. Wegener, Lehrbuch der Pädagogik 
(2 Bde, 2 1902); Stolz, E.skunst (51891); Ditt- 
rich, Abriß einer Lehre der E. u. des Unterrichts 
(1878); Ohler, Lehrbuch der E. u. des Unterrichts 
(101884); Stöckl, Lehrb. der Pädagogik (21880); 
Willmann, Didaktik (2 Bde, 1903); H. Baum- 
gartner, Psychologie oder Seelenlehre ((/1899); 
ders., Pädagogik (71902); H. Schiller, Handb. der 
prakt. Pädagogik (71904); Antoniano, Die christl. 
E. (1888); Noser u. Grüninger, Allgem. E. slehre 
(21907); W. Becker S. J., Die christl. E. (31907); 
Krieg, Lehrbuch der Pädagogik (31905); Bau- 
meister, Handbuch der E.= u. Unterrichtslehre 
(4 Bde, 1894/98); Habingsreither, Lehrbuch der 
Pädagogik (1899); Frank, Prakt. E slehre (1900); 
Bergemann, Sozialpädagogik (1900); R. Leh- 
mann, E. u. Erzieher (1901); Natorp, Sozial- 
pädagogik (21904); JI. Böhm, Prakt. E.3= u. 
Unterrichtslehre (I 51904, II "11905); Habrich, 
Pädagog. Psychologie (2 Bde, 1901/03, 121903); 
Rein, Pädagogik (2 Bde, 1902/06); Willmann, Aus 
Hörsaal u. Schulstube (1904); Förster, Jugend- 
lehre (1904 u. ö.); Barry, Le droit d’enseigner 
(Par. 1906). — Enzyklopädien: Rolfus u. 
Pfister (4 Bde, 1872/74, Suppl. 1884 ; neue Aufl. 
von der Herderschen Verlagshandlung vorbereitet), 
K. A. Schmid (10 Bde, 21876/87), Sander (21889), 
Rein (9 Bde, 1903/08), Loos (2 Bde, 1906/08). 
IStöckl, rev. Roloff.] 
Etat s. Staatshaushalt. 
Etikette s. Hof, Hofstaat. 
Eudämonismus s. Ordnung sittliche. 
Europäisches Gleichgewicht s. Gleich- 
gewicht, politisches. 
Ewiger Friede s. Friede, ewiger. 
Examen s. Staatsprüfung, Universität. 
Exekution s. Zwangsvollstreckung. 
Existenzminimum (. Einkommensteuer 
(3d 1. Sp. 1503). 
Exklusive s. Papst. 
Erkommunikation s. Kirchenstrafen. 
Expropriation s. Enteignung. 
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