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deren Leistungen sie ohne Bruch ihrer Frauen-
würde nicht in Anspruch nehmen könnte. Auch
versicherungstechnisch ist der Mutterschaftskasse da-
mit das Urteil gefällt. Denn es widerspricht dem
Sinne einer Versicherung, Personen des gleichen
Lebenskreises auf Fälle hin zu versichern, die alle
willkürlich herbeiführen können, die aber die Mehr-
zahl aus sittlichen Grundsätzen niemals herbei-
führen wird.
Zur staatlichen Wöchnerinnenfürsorge sind,
direkt oder indirekt, auch zahlreiche Abschnitte
unserer sozialen Gesetzgebung zu rechnen, ins-
besondere soweit sie den Arbeiterinnenschutz
zum Gegenstand haben (achtwöchige Schutzzeit für
Wöchnerinnen, zehnstündiger Maximalarbeitstag
für Frauen, Verbot der Frauenarbeit bei Nacht
und in gesundheitsgefährlichen Betrieben).
Die staatlichen Maßnahmen der Wöchnerinnen-
fürsorge werden aber für den wirtschaftlich schwäch-
sten Teil der Bevölkerung nicht ausreichen. Des-
halb muß die öffentliche Armenpflege
einen gesetzlichen Ausbau erhalten, gemäß dem die
Unterstützungsgelder der Krankenkassen je nach den
Umständen ergänzt werden, insbesondere wenn
diese über die pflichtmäßigen Leistungen gegen-
über den Wöchnerinnen nicht hinausgehen.
Neben diesen Leistungen des Staates und der
Gemeinde bleibt auch der christlichen Chari-
tas ein reiches Feld der Tätigkeit, möge es sich
nun um die eheliche oder um die uneheliche Mutter
handeln. In manchen Stüädten bestehen Vereine
zur Unterstützung armer Wöchnerinnen, die be-
sonders die Hauspflege organisieren, indem sie sog.
Hausschwestern ausbilden und besolden. Die Auf-
gabe dieser Hausschwestern ist es, neben der Pflege
der armen Wöchnerinnen auch deren Haushalt in
Ordnung zu halten, weil erfahrungsgemäß die
Familie während der Arbeitsunfähigkeit der Mutter
in der dringenden Gefahr der Verwahrlosung
steht. Auch die Errichtung von Wöchnerinnen-
heimen ist augenblicklich noch zum größten Teil
der Privatwohltätigkeit überlassen.
Der sozial-charitativen Fürsorge speziell für die
unehelichen Mütter widmen sich ebenfalls viele
Vereine; auf katholischer Seite ist am bedeutend-
sten der 1899 gegründete „Katholische Fürsorge-
verein für Mädchen, Frauen und Kinder“ mit der
Zentrale Dortmund (Gründung von Aspylen, sitt-
liche, bürgerliche und wirtschaftliche Rehabili-
tierung der unehelichen Mütter, Fürsorge für die
unehelichen Kinder). Neben diesen Vereinen ar-
beiten einzelne weibliche Orden, besonders die
Schwestern vom Guten Hirten, an der gleichen
Aufgabe. Die religiös-sittliche Tendenz der Für-
sorge unterscheidet die Tätigkeit der konfessionellen
Vereine und der weiblichen Orden in erster Linie
von der Tätigkeit des „Bundes für Mutterschutz“.
Auch die Hebammenfrage ist eine Frage
des Mutterschutzes. Wenn der echt weibliche Heb-
ammenberuf durch gesetzliche Reglung der Aus-
bildung, der Honorartaxen, der Altersversorgung
Muntterschutz.
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wissenschaftlich und sozial gehoben wird, wenn es
alsdann gelingt, auch die gebildete Frau ihm zu-
zuführen, so ist damit gleichzeitig vielen Müttern
geholfen. Für die Katholiken speziell wäre zu
wünschen, daß der eine oder andere unserer kranken-
pflegenden Orden sich auch dem Hebammendienst
und der Wochenbettpflege widmete, oder daß die
in Metz vor etwa hundert Jahren gegründete
Kongregation der Hebammenschwestern der hl. Fe-
lizitas weitere Verbreitung fände.
Mit dem Mutterschutz ist endlich der Säug-
lingsschutz organisch verbunden, so daß eine
Wechselwirkung besteht: die naturgemäße Behand-
lung des Säuglings dient für gewöhnlich auch der
Wohlfahrt der Mutter. Es kommen hier vorzugs-
weise folgende Maßnahmen in Betracht: Ein-
richtung von Mütterberatungsstellen, Anleitung
der Mütter zum Selbststillen, Stillprämien, Ein-
richtung von Stillstuben bei gewerblichen Be-
trieben usw.
Die materielle Hilfsbedürftigkeit vieler Mütter
führt zu der weiteren Frage: ob nicht auch ihre
rechtliche Stellung zeitgemäße Reformen
verlangt.
Der eheverlassenen Frau ist der gesetzliche Unter-
halt durch § 361, Abs. 10 des N. St.G. B. (Haft-
strafe von 1 Tag bis 6 Wochen für Ehemänner,
die sich trotz Aufforderung der Behörden der Er-
nährungspflicht ihrer Familien entziehen, so daß
diese der Armenpflege zur Last fallen) nicht ge-
nügend gewährleistet. Denn die Haftandrohung
wirkt auf viele ohnehin gewissenlose Männer kaum
noch abschreckend, und obendrein ist der Frau
durch Bestrafung des Mannes materiell nicht ge-
holfen. Ihre Notlage aber wird zur Zeit der
Mutterschaft besonders drückend. Deshalb müßte
das Gesetz dahin ausgebaut werden, daß der pflicht-
vergessene Ehemann, um den Unterhalt seiner
Familie zu verdienen, zwangsweise dem Arbeits-
hause überwiesen werden könnte.
Noch weniger geschützt ist die rechtliche Stellung
der unehelichen Mutter. Zwar bestimmt § 1715
des B.G.B., daß der Vater ihres Kindes ihr die
Kosten der Entbindung und des Unterhalts für
die ersten 6 Wochen nach der Entbindung, ferner
die durch Schwangerschaft und Entbindung not-
wendig gewordenen weiteren Aufwendungen er-
setzen muß. Aber gemäß den Erfahrungen der
Armenpflege wissen sich die meisten Väter der
Alimentierung zu entziehen (nach einer Feststellung
von Othmar Spann in Frankfurt a. M. zahlten
66 %% der unehelichen Väter überhaupt keine,
11 % zahlten nur einen Bruchteil der Alimente),
so daß die uneheliche Mutter zur Zeit der Nieder-
kunft sich meistens schwerer materieller Not preis-
gegeben sieht. Diese, in Verbindung mit der
drohenden Schande, verschuldet häufig Selbst-
mord und Verbrechen am neugebornen Kinde.
Folgende Reformen wären deshalb vorzu-
schlagen: a) Die Organe der Armenpflege oder
Generalvormundschaft müßten allgemein dar-