Full text: Staatslexikon. Dritter Band: Kaperei bis Paßwesen. (3)

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deren Leistungen sie ohne Bruch ihrer Frauen- 
würde nicht in Anspruch nehmen könnte. Auch 
versicherungstechnisch ist der Mutterschaftskasse da- 
mit das Urteil gefällt. Denn es widerspricht dem 
Sinne einer Versicherung, Personen des gleichen 
Lebenskreises auf Fälle hin zu versichern, die alle 
willkürlich herbeiführen können, die aber die Mehr- 
zahl aus sittlichen Grundsätzen niemals herbei- 
führen wird. 
Zur staatlichen Wöchnerinnenfürsorge sind, 
direkt oder indirekt, auch zahlreiche Abschnitte 
unserer sozialen Gesetzgebung zu rechnen, ins- 
besondere soweit sie den Arbeiterinnenschutz 
zum Gegenstand haben (achtwöchige Schutzzeit für 
Wöchnerinnen, zehnstündiger Maximalarbeitstag 
für Frauen, Verbot der Frauenarbeit bei Nacht 
und in gesundheitsgefährlichen Betrieben). 
Die staatlichen Maßnahmen der Wöchnerinnen- 
fürsorge werden aber für den wirtschaftlich schwäch- 
sten Teil der Bevölkerung nicht ausreichen. Des- 
halb muß die öffentliche Armenpflege 
einen gesetzlichen Ausbau erhalten, gemäß dem die 
Unterstützungsgelder der Krankenkassen je nach den 
Umständen ergänzt werden, insbesondere wenn 
diese über die pflichtmäßigen Leistungen gegen- 
über den Wöchnerinnen nicht hinausgehen. 
Neben diesen Leistungen des Staates und der 
Gemeinde bleibt auch der christlichen Chari- 
tas ein reiches Feld der Tätigkeit, möge es sich 
nun um die eheliche oder um die uneheliche Mutter 
handeln. In manchen Stüädten bestehen Vereine 
zur Unterstützung armer Wöchnerinnen, die be- 
sonders die Hauspflege organisieren, indem sie sog. 
Hausschwestern ausbilden und besolden. Die Auf- 
gabe dieser Hausschwestern ist es, neben der Pflege 
der armen Wöchnerinnen auch deren Haushalt in 
Ordnung zu halten, weil erfahrungsgemäß die 
Familie während der Arbeitsunfähigkeit der Mutter 
in der dringenden Gefahr der Verwahrlosung 
steht. Auch die Errichtung von Wöchnerinnen- 
heimen ist augenblicklich noch zum größten Teil 
der Privatwohltätigkeit überlassen. 
Der sozial-charitativen Fürsorge speziell für die 
unehelichen Mütter widmen sich ebenfalls viele 
Vereine; auf katholischer Seite ist am bedeutend- 
sten der 1899 gegründete „Katholische Fürsorge- 
verein für Mädchen, Frauen und Kinder“ mit der 
Zentrale Dortmund (Gründung von Aspylen, sitt- 
liche, bürgerliche und wirtschaftliche Rehabili- 
tierung der unehelichen Mütter, Fürsorge für die 
unehelichen Kinder). Neben diesen Vereinen ar- 
beiten einzelne weibliche Orden, besonders die 
Schwestern vom Guten Hirten, an der gleichen 
Aufgabe. Die religiös-sittliche Tendenz der Für- 
sorge unterscheidet die Tätigkeit der konfessionellen 
Vereine und der weiblichen Orden in erster Linie 
von der Tätigkeit des „Bundes für Mutterschutz“. 
Auch die Hebammenfrage ist eine Frage 
des Mutterschutzes. Wenn der echt weibliche Heb- 
ammenberuf durch gesetzliche Reglung der Aus- 
bildung, der Honorartaxen, der Altersversorgung 
Muntterschutz. 
  
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wissenschaftlich und sozial gehoben wird, wenn es 
alsdann gelingt, auch die gebildete Frau ihm zu- 
zuführen, so ist damit gleichzeitig vielen Müttern 
geholfen. Für die Katholiken speziell wäre zu 
wünschen, daß der eine oder andere unserer kranken- 
pflegenden Orden sich auch dem Hebammendienst 
und der Wochenbettpflege widmete, oder daß die 
in Metz vor etwa hundert Jahren gegründete 
Kongregation der Hebammenschwestern der hl. Fe- 
lizitas weitere Verbreitung fände. 
Mit dem Mutterschutz ist endlich der Säug- 
lingsschutz organisch verbunden, so daß eine 
Wechselwirkung besteht: die naturgemäße Behand- 
lung des Säuglings dient für gewöhnlich auch der 
Wohlfahrt der Mutter. Es kommen hier vorzugs- 
weise folgende Maßnahmen in Betracht: Ein- 
richtung von Mütterberatungsstellen, Anleitung 
der Mütter zum Selbststillen, Stillprämien, Ein- 
richtung von Stillstuben bei gewerblichen Be- 
trieben usw. 
Die materielle Hilfsbedürftigkeit vieler Mütter 
führt zu der weiteren Frage: ob nicht auch ihre 
rechtliche Stellung zeitgemäße Reformen 
verlangt. 
Der eheverlassenen Frau ist der gesetzliche Unter- 
halt durch § 361, Abs. 10 des N. St.G. B. (Haft- 
strafe von 1 Tag bis 6 Wochen für Ehemänner, 
die sich trotz Aufforderung der Behörden der Er- 
nährungspflicht ihrer Familien entziehen, so daß 
diese der Armenpflege zur Last fallen) nicht ge- 
nügend gewährleistet. Denn die Haftandrohung 
wirkt auf viele ohnehin gewissenlose Männer kaum 
noch abschreckend, und obendrein ist der Frau 
durch Bestrafung des Mannes materiell nicht ge- 
holfen. Ihre Notlage aber wird zur Zeit der 
Mutterschaft besonders drückend. Deshalb müßte 
das Gesetz dahin ausgebaut werden, daß der pflicht- 
vergessene Ehemann, um den Unterhalt seiner 
Familie zu verdienen, zwangsweise dem Arbeits- 
hause überwiesen werden könnte. 
Noch weniger geschützt ist die rechtliche Stellung 
der unehelichen Mutter. Zwar bestimmt § 1715 
des B.G.B., daß der Vater ihres Kindes ihr die 
Kosten der Entbindung und des Unterhalts für 
die ersten 6 Wochen nach der Entbindung, ferner 
die durch Schwangerschaft und Entbindung not- 
wendig gewordenen weiteren Aufwendungen er- 
setzen muß. Aber gemäß den Erfahrungen der 
Armenpflege wissen sich die meisten Väter der 
Alimentierung zu entziehen (nach einer Feststellung 
von Othmar Spann in Frankfurt a. M. zahlten 
66 %% der unehelichen Väter überhaupt keine, 
11 % zahlten nur einen Bruchteil der Alimente), 
so daß die uneheliche Mutter zur Zeit der Nieder- 
kunft sich meistens schwerer materieller Not preis- 
gegeben sieht. Diese, in Verbindung mit der 
drohenden Schande, verschuldet häufig Selbst- 
mord und Verbrechen am neugebornen Kinde. 
Folgende Reformen wären deshalb vorzu- 
schlagen: a) Die Organe der Armenpflege oder 
Generalvormundschaft müßten allgemein dar-
	        
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