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gebracht worden. Der nördliche Viktoria ist den Engländern auf dem
Nilwege zugänglich und wird von ihnen in einer Weise aufgeschlossen
und befahren, daß die wirtschaftliche Herrschaft über den nördlichen Teil
unsrer Kolonie unsren Händen zu entgleiten droht. Felsenuser, Untiefen
und Stürme beeinträchtigen die Schiffahrt auf diesen Seen freilich in
hohem Maße.
Dieselbe Eigenart der Wasserläufe, die uns in Südwestafrika auf—
fiel, finden wir hier wieder, nämlich, daß sie in der trockenen Jahreszeit
versinken und unterirdisch ihren Weg nehmen. Das hat die Bildung
großer Höhlen, ja förmlicher unterirdischer Deltas zur Folge gehabt.
Eine solche Höhle, zwei Stunden von unserem nördlichsten Hafen
Tanga, im Delta des Pangani wird von dem belgischen Missionar
Chandois im „Mouvement Géographique“ in lebhafter Darstellung
geschildert:
Sie liegt in einer herrlichen, waldbedeckten Landschaft. Der Haupt—
eingang hat die Form eines ungeheuren Spitzbogens von über zehn
Meter Höhe, unter dem sich ein Strom aus dem Erdinnern ergießt.
Unmittelbar darüber erhebt sich das Gewölbe domartig in mehreren
Schiffen nebeneinander, deren gewaltige Höhe zwischen 40 und 80 m
schwankt. Der Hauptgang führt zu einem ungeheuren Saal, dessen
Flächenraum dem eines großen städtischen Platzes gleichkommt. Von ihm
zweigt sich ein Labyrinth anderer Gänge ab, die zu Sälen geringerer
Größe führen. Wegen des verworrenen Durcheinanders dieser unter—
irdischen Räume ist es äußerst schwierig, sich darin zurechtzufinden. Ein
Besuch der Höhle wird aber noch durch ein weit größeres Hindernis
erschwert, die Fledermäuse, die in so großer Zahl das Innere der Grotten
bewohnen, daß man nicht weiß, ob man sie nach Millionen oder Milliarden
schätzen soll. Die Gewölbe sind mit ihnen buchstäblich austapeziert, so
daß sie auf den ersten Blick mit einer schwarzen Schicht überzogen
scheinen. Einige von ihnen erreichen eine geradezu kolossale Größe.
Tausender solcher Tiere, durch die nie gesehene Erscheinung einer Fackel
aus ihrer ewigen Nacht aufgeschreckt, umflattern wie wild die Stören—
friede. Prachtvolle Bildungen von Sickerkalken, Stalaktiten und Stalag-
miten sind vorhanden. Der Boden wird von Geröll und Hinterlassen-
schaften der Fledermäuse gebildet. Da einige der Gänge eine nahezu
unüberwindliche Steigung besitzen, ist anzunehmen, daß die Höhle aus
mehreren Stockwerken aufgebaut ist. Der untere Teil der Grotten wird